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Foto: Detlef Kinsler
Foto: Detlef Kinsler

Bob Degen & Burkard Kunkel

Aus der Form fallen

„Lyrische Expression" heißt das Zauberwort der klassisch geschulten Jazzmusiker. Die geschmeidigen Landschaften mit Vulkanausbrüchen können Sie am 28.10. im Nebbienschen Gartenhaus erleben. JOURNAL FRANKFURT sprach mit Burkhard Kunkel.
JOURNAL FRANKFURT: Man konnte das Duo ja schon in der Romanfabrik sehen, jetzt steht das Konzert im Gartenhaus an, es gab auch schon einen Auftritt mit Lyrik in einer Kirche – braucht die Musik des Duos vorzugsweise einen (besonders) intimen Rahmen?

Burkard Kunkel: Ja, dieser ist für die musikalische Begegnung unserer Art sehr wichtig. Die Romanfabrik, das Nebbiensche Gartenhaus, mehrere Kirchen oder das Mosaik Jazzlokal in Frankfurt waren bisher alles hervorragende Orte hierfür. Entscheidend ist nicht zu sehr die Größe und Beschaffenheit des Ortes, sondern vielmehr das ruhige und konzentrierte Zuhören des Publikums. Voraussetzung ist natürlich ein gutes Klavier oder ein brauchbarer gestimmter Flügel. Bob ist überhaupt nicht kompliziert als Mensch, aber beim Spiel auf einem verstimmten Flügel leidet er sehr. Erschwerend kommt hinzu, dass ich das Bassetthorn eigentlich kaum spielen kann, wenn die Stimmung nicht exakt 442 Hz beträgt. Es ist dann unheimlich schwer, dieses Instrument zu intonieren.

Es ist ja immer schwierig, singuläre Konzepte stilistisch zu benennen. Spielt das Degen-Kunkel-Duo eine Art kammermusikalischen Jazz, also Kammer-Jazz?

Ja, so könnte man sagen. Wir sind ein Duo, machen fast reine Instrumentalmusik (Ausnahme: selten singe ich im Falsett ins Horn), uns dirigiert niemand, wir müssen eigenverantwortlich zueinander finden. Man könnte aber auch Jazz-Duo dazu sagen. Bei dem Wort Bassetthorn kann man sich halt unter Jazz erst einmal nichts vorstellen, da denkt man eventuell erst mal an ein Bassetthorn-Trio von Mozart.

Für einen US-amerikanischen Musiker scheint Bob Degen eine sehr europäische Prägung (u.a. Hindemith) zu haben. Wichtig für das gemeinsame Projekt?

Bob Degen besucht sehr oft mit seiner Frau Dietlinde Ankenbrand klassische Konzerte in Frankfurt. Er liebt vor allem die Romantik, die in seinem Spiel stets spürbar ist. Ich mag auch romantisch-impressionistische Klänge. Ich hatte neun Jahre im Musikgymnasium in Aschaffenburg wöchentlichen klassischen Klavierunterricht. Debussy, Bartok oder Kodaly habe ich besonders gern gespielt. Damals war das mir aber alles zu akademisch, jede Woche bekam man eine Note auf das Vorspiel. Erst mit 16 Jahren habe ich den Jazz als eine Art Befreiung wahrgenommen. Trotzdem sind die Klänge von Ravel oder Rachmaninoff noch im Ohr, waren für mich damals unheimlich beeindruckend und wirken in unserer Musik sicherlich noch nach. Bobs romantisch-klassische Kenntnisse helfen unserer Musik natürlich, da er sich auf die romantisch inspirierte Klangwelt hervorragend improvisierend einlassen kann.


Ziemlich sicher ist klassische Musik auch aufgrund der Ausbildung ein wichtiger Impuls. Da braucht es gar nicht den Satie auf dem gemeinsamen Album, um (spät-) romantische und impressionistische Einflüsse zu vermuten, der Album- wie auch die Songtitel auf „Down By The Harbour“ lassen eine Nähe zu Programmmusik erahnen ...

Der Titel „Down By The Harbour“ ist für mich eine Art Imagination, in der ich mich sehr wohl fühle. Es ist ein Ort der Ruhe und Begegnung, der Rauheit und der Sehnsucht, der Einsamkeit und des Abenteuers. Wichtige Momente, die ich gerne in der Musik einfangen möchte. Das Meer stellt hierbei eine Art Gegenpol zum Wald dar, in dem ich aufgewachsen bin im Hochspessart.

Da stellt sich auch die Frage: was ist zuerst da – der Titel, der dann musikalisch erfüllt wird oder die von Bildern, Szenen, Erlebnissen inspirierten Musiken (so scheint es im Falle des Albums zumindest), die dann aufgrund der Stimmungen und Atmosphären einen Namen bekommen ...

Ich schreibe selten Musik, der ein bestimmtes Thema voransteht. Ich stelle mir also z.B. keinen Pelikan beim Schreiben der Noten vor. Es kann aber vorkommen, dass beim Drücken eines Akkordes am Klavier plötzlich Bilder im Kopf auftauchen, die dann den Titel des Stücks sehr beeinflussen. Nach einer Einspielung von Musik im Studio liegt aber auch manchmal noch kein Titel vor. Dann kommt die eigentlich spannende Phase: Man hört die Musik gespannt beim Autofahren und dann entstehen plötzlich Bilder, die man beim Schreiben des Stückes oder beim Spielen im Studio nie wahrgenommen hätte.

Wie schafft man den Spagat mit Musik auf die Bühne zu gehen, zu einerseits wie (aus-) komponiert klingt und andererseits genügend Freiraum für Improvisation lässt?

Ein Wechsel von einigen komponierten Passagen und deutlich mehr Improvisationen finde ich spannend. Eine Abwechslung im Instrumentarium, in der Harmonik oder Stilistik ist auch sehr interessant. Manchmal fühlt man sich auf der Bühne durch eventuell zu viele Abfolgen oder statische Akkorde zu eingeengt. Dann gilt es, wenn dafür Raum ist, spontan mit freien Einwürfen zu reagieren.
Es ist besser, zu Beginn des Konzertes in ein dunkles Loch oder ins Ungewisse einzutauchen als schon die ganze Musik, die dann folgt, erahnen zu können. Zu viele Absprachen können einen blockieren. Das Gefühl sollte die Form beherrschen, nicht die Form das Gefühl. Die Art brut in der Musik, eine Art eher antiakademische Ästhetik interessiert mich mehr als hochkomplex ausgezirkelte wohlüberlegte Musik. Es ist mir lieber, ich „falle aus der Form“, als in der Form sicher, aber ohne persönliches Gefühl zu spielen.

In dem Moment wo man der lyrischen Schönheit vieler Stücke, der Schönheit und harmonischen Tonalität erliegen möchte, kommen die (Aus-) Brüche, eine quäkende Ente, ein störrischer Esel. Bei allen „freien“ Ausbrüchen ist man dabei der Neuen Musik wahrscheinlich näher als dem Free Jazz ...

Daher sind die emotionalen Ausbrüche eines „störrischen Esels“ eher als freejazzinspiriert zu sehen. Es wäre schwer für einen zeitgenössischen Komponisten der neuen Musik solche Ausbrüche aufzuschreiben.

Ein Wort zum Instrumentarium. Nicht alle Musikhörer sind Spezialisten, aber so oft wie Leute den Unterschied – optisch wie klanglich J – zwischen Klarinette und Sopransaxophon nicht erkennen: wie erklärt man denen das Bassetthorn?

Wie erklärt man ein Bassetthorn: Ich erkläre es dann so: „Eine Art tiefe Klarinette aus Holz, aber nicht so tief wie die Bassklarinette, hat oben vor dem Mündstück einen kurzen metallischen Bogen und unten einen Schallbecher aus Metall. Kurz ausgedrückt: Eine lange Pfeife fast ganz aus Holz“. Die ersten Bassetthörner wurden 1760 gebaut, damals sahen sie halbkreisförmig aus. Daher eventuell der Name des Horns. Eine andere Erklärung ist das metallene Schallstück, das die Klarinette nicht hatte. Die tiefen Töne des Bassetthorns erinnern auch manchmal an hornartige Töne. Der Sound ist insgesamt holziger als beim Saxophon. Es soll Mozarts Lieblingsinstrument gewesen sein.

Und dann wäre da noch die Zither und damit – zumal Maria Kalaniemi im Spiel war (als nicht nur klassisch geschulte Musikerin) – gibt es eine Folknähe (na ja, in Deutschland würde man Volksmusik sagen). Welche Rolle spielt die Zither im musikalischen Leben von Burkard Kunkel und wie kann man das Instrument klischeebefreit und jenseits von Anton Karas neu erkunden und sich sogar am Ende an Monk und Charlie Parker wagen?

Ich verliebte mich als Siebenjähriger in dieses Instrument. Ich hatte dann 3 Jahre lang Zitherunterricht auf der Wiener Stimmung ( „der dritte Mann“ wurde übrigens auch von Anton Karas auf einer Wiener Stimmung gespielt). Meine Zitherlehrerin, damals 70 Jahre alt, kam aus Braunau, dem heutigen Broumov, ein Dorf aus dem nordöstlichen Böhmen. Sie musste als Sudentendeutsche fliehen. In ihrer Kindheit gab es dort sehr viele Zitherorchester. Ich spielte bis zur Pubertät auf „Heimatabenden“ im Spessart in Schrammel-Trios für Kurgäste v.a. aus dem Ruhpott. Dann hatte ich keine Lust mehr, hörte Rock, dann Funk, dann Jazz, dann Freejazz…...Die Zither stand dann 18 Jahre im Keller. Im Projekt von Chris Dell „Antigone“ holte ich die Zither Mitte der 90er Jahre wieder heraus, und dann spielte ich mit Rüdiger Carl drei „Gold“-CDs (Freies, Lieder, Balladen) ein. Die Akkordeonistin Maria Kalaniemi traf ich 1997 in Finnland. In Helsinki gibt es viele Musiker, die ihre Volksmusik individuell weiterentwickeln. Das hat mich sehr inspiriert. Seit ca. 2002, umgestiegen auf die Münchner Stimmung, versuche ich meine Technik auf der Zither zu verbessern. Mit Carl und Vitold Rek spiele ich aktuell im Trio mit Akkordeon, Mandoline und Zither Jazzballaden. Die Zither ist ein sehr spannendes Instrument. Ich versuche darauf Einflüsse zwischen Alfons Bauer, Joe Pass und Derek Bailey etc. zu verarbeiten. Es macht großen Spaß, neue Klänge auf der Zither auszuprobieren, man hat 40 Saiten zur Verfügung und kann Monk, Coltrane oder Ellington mal von einer ganz anderen Seite beleuchten.
 
16. Oktober 2016, 13.55 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
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