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Nach Mord in Mörfelden-Walldorf
Ist jede Beziehungstat ein Femizid?
Wenn ein Mensch getötet wird, urteilen die Nutzer häufig schnell im Internet. In seiner Kolumne hat unser Kolumnist deswegen eine Empfehlung parat.
Zugegeben, das ist ein vermintes Gelände, auf das ich mich hier begebe, aber ich versuche es mal vorsichtig: Sie erinnern sich, dass im Januar eine Kassiererin in einem Supermarkt in Mörfelden-Walldorf erschossen wurde? Schon ein paar Stunden, nachdem die Meldung öffentlich wurde, gingen die ersten Vorverurteilungen durch die sozialen Medien: Die einen verlangten naturgemäß, die Nationalität des Täters zu erfahren.
Die nächsten schrien: „Lebenslänglich!!!! Aber bei unserer Kuscheljustiz ist der ja eh nach drei Jahren wieder auf Bewährung draußen. Jede Rentnerin, die Flaschen sammelt, wird härter bestraft.“ Und wieder andere mahnten sofort: „Nennt es nicht Beziehungstat. Es war ein Femizid.“ Wohlgemerkt, all das zu einem Zeitpunkt, an dem noch gar nichts feststand.
Femizid in Mörfelden-Walldorf?
Dass das Schnellgericht im Internet so gnadenlos ist wie frei von jeglichen juristischen Grundkenntnissen, ist allgemein bekannt. Und die ersten beiden Reaktionen sind auch nicht unbedingt neu. Die dritte allerdings schon. Ich beobachte das in diversen Leserforen von Onlinemedien: Sobald von einem Tötungsdelikt berichtet wird, dessen Opfer eine Frau ist, sammelt sich in den Kommentarspalten eine Großmacht von Stimmen, die moniert, hier fehle das Wort Femizid.
Ich persönlich bin skeptisch gegenüber diesem Begriff. Mir ist bewusst, dass dieses Wort erstmals in Lateinamerika benutzt wurde, wo es tatsächlich zu Beginn der 1990er-Jahre eine Serie von Morden an Frauen gab, an deren Aufklärung die Behörden nicht interessiert waren. Trotzdem ruft der Terminus bei mir (und das wahrscheinlich ganz bewusst) die ungute Assoziation zum Begriff „Genozid“ hervor.
Es wird also suggeriert, es gebe einen systematischen, vom Patriarchat (und vom Staat) gedeckten Plan zur Vernichtung von Frauen. Und das ist, zumindest in Deutschland, nicht der Fall. Ist jeder Mord an einer Frau ein Femizid? Ist jede Beziehungstat ein Femizid? Das sind keine rhetorischen Fragen. Aber im Zweifelsfall ist sprachliche Abrüstung derzeit immer der bessere Weg.
Die nächsten schrien: „Lebenslänglich!!!! Aber bei unserer Kuscheljustiz ist der ja eh nach drei Jahren wieder auf Bewährung draußen. Jede Rentnerin, die Flaschen sammelt, wird härter bestraft.“ Und wieder andere mahnten sofort: „Nennt es nicht Beziehungstat. Es war ein Femizid.“ Wohlgemerkt, all das zu einem Zeitpunkt, an dem noch gar nichts feststand.
Dass das Schnellgericht im Internet so gnadenlos ist wie frei von jeglichen juristischen Grundkenntnissen, ist allgemein bekannt. Und die ersten beiden Reaktionen sind auch nicht unbedingt neu. Die dritte allerdings schon. Ich beobachte das in diversen Leserforen von Onlinemedien: Sobald von einem Tötungsdelikt berichtet wird, dessen Opfer eine Frau ist, sammelt sich in den Kommentarspalten eine Großmacht von Stimmen, die moniert, hier fehle das Wort Femizid.
Ich persönlich bin skeptisch gegenüber diesem Begriff. Mir ist bewusst, dass dieses Wort erstmals in Lateinamerika benutzt wurde, wo es tatsächlich zu Beginn der 1990er-Jahre eine Serie von Morden an Frauen gab, an deren Aufklärung die Behörden nicht interessiert waren. Trotzdem ruft der Terminus bei mir (und das wahrscheinlich ganz bewusst) die ungute Assoziation zum Begriff „Genozid“ hervor.
Es wird also suggeriert, es gebe einen systematischen, vom Patriarchat (und vom Staat) gedeckten Plan zur Vernichtung von Frauen. Und das ist, zumindest in Deutschland, nicht der Fall. Ist jeder Mord an einer Frau ein Femizid? Ist jede Beziehungstat ein Femizid? Das sind keine rhetorischen Fragen. Aber im Zweifelsfall ist sprachliche Abrüstung derzeit immer der bessere Weg.
13. März 2024, 12.00 Uhr
Christoph Schröder
Christoph Schröder
Christoph Schröder studierte in Mainz Germanistik, Komparatistik und Philosophie. Seine Interessensschwerpunkte liegen auf der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und dem Literaturbetrieb. Er ist Dozent für Literaturkritik an der Goethe-Universität Frankfurt. Mehr von Christoph
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