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Schirn Kunsthalle Frankfurt

Die Kräfte neu vermessen

Hans Haacke hat die Institutionskritik in den Ausstellungsraum gebracht – aber auch Witz, Klugheit und Poesie. Jetzt widmet die Schirn Kunsthalle Frankfurt dem Künstler eine große Retrospektive.
„Ich möchte mich sehr kurz halten.“ Mit diesen Worten beginnt Hans Haacke 1967 sein Konzept zu einem Kunstwerk. Es folgen präzise, nüchtern formulierte Eckdaten zum Vorhaben: Ein Kubikyard Erde, also etwa ein Dreiviertel Kubikmeter, gemischt mit Torf; kegelförmig, wie eine Sandburg, durchzogen mit Samen von Winterroggen und Einjährigem Roggen, wird in einen Ausstellungsraum mit Tageslicht aufgeschüttet.

Zum Ausstellungsbeginn würden dann, so die Hoffnung des Künstlers, bereits die ersten Triebe aus dem Boden sprießen. „Ich bin nicht an der Form interessiert,“ schrieb Haacke weiter, „ich interessiere mich eher für das Wachstum von Pflanzen – Wachstum als ein Phänomen, das außerhalb des Bereichs von Formen, Komposition und so weiter liegt und mit der Interaktion von Kräften und der Interaktion von Energien und Informationen zu tun hat. Mein Kommentar für den Katalog, wenn ich um ein Statement gebeten werde, ist ‚Gras wächst‘.“

Gras wächst – auch in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Gras wächst, Grass grows, sollte fortan auch das Werk heißen, das Haacke erstmals an der Cornell University in Ithaca, New York ausgestellt und seitdem in immer wieder neuer Variation in den Ausstellungsraum gebracht hat. Auch in Frankfurt kann man bald einen grasbewachsenen Haufen Erde im White Cube sehen: Als eine von zwei letzten großen Ausstellungen vor der umfassenden Sanierung des Hauses zeigt die Schirn jetzt eine große Retrospektive des inzwischen 88-jährigen Künstlers.

Hans Haacke ist ein großer Spaßbringer: Er hat kinetische Skulpturen geschaffen, interaktive Arbeiten und solche, die sich nie exakt vorausplanen lassen. Man könnte sagen, dass die Idee in seiner Kunst mindestens gleichberechtigt zur Form ist. Ein reiner Konzeptkünstler ist Haacke aber auch nicht – sondern auch, aber eben nicht allein, Medienkünstler, politischer Künstler, Interaktionskünstler. Vielleicht liegt sein Werk gerade in der Schnittmenge all dieser Labels und Zuschreibungen. Was die Kategorisierung naturgemäß schwieriger macht.



Hans Haacke, News (Nachrichten), 1969, Nadeldrucker, Papierrollen, Informationsservice von Nachrichtenagenturen, Maße variabel, Edition 2/3, Courtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Ellen Wilson

Warum haben Museen solche Angst vor diesem Künstler?

„Warum haben Museen solche Angst vor diesem Künstler?“, fragte die New York Times erst im vorletzten Monat, und lieferte die Antwort eigentlich schon mit: In Zeiten existenzieller Krisen, in der Museen sich ständig fragen müssen, wer sie finanziert und wie, da bleibe Hans Haacke für Kuratoren und Sammler letztlich unberechenbar. Wo die Einsichten und Statements, die eine Ausstellung zu erzählen haben soll, heute zunehmend schon vorher festgezurrt wird, um alle Beteiligten zufrieden zu stellen, ist der 1936 in Köln geborene New Yorker immer noch ein Risiko.

Die Schirn Kunsthalle hatte offenbar keine Angst. Nun ist die Finanzierung von Ausstellungshäusern in Deutschland kaum mit der in den USA vergleichbar – allerdings ist die öffentliche Hand natürlich ihrerseits nicht völlig neutral. Zumindest eine gesellschafts-politische Relevanz wird gern gesehen. Wie können Kulturinstitutionen ob der klammen Haushaltslage sicher sein, dass ihre Arbeit in kommenden Jahren im bekannten Umfang finanziert bleibt? Und auch am Main arbeitet man, um einzelne Ausstellungen zu realisieren, mit privaten Geldgebern, Konsulaten und Stiftungen zusammen.



Hans Haacke, Der Pralinenmeister, Bild: Kunstbesitz in Dauerleihgaben ist vermögenssteuerfrei, 1981, Collage aus Mehrfarben-Siebdruck, eingeklebte Fotografien, Pralinen- und Schokoladentafelverpackungen, 100 × 70 cm, Inv.-Nr. ML/G2018/040/01-14, © Rheinisches Bildarchiv Köln / Museum Ludwig Köln, Grafische Sammlung / Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Sabrina Walz



Hans Haacke, Sky Line, 1967, C-Print auf Aluminium, 152, 4 × 99,7 cm, Edition 1/3, Courtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Hans Haacke

Haackes Arbeiten provozieren manchmal oder manche(n)

Zumindest für die jeweilige Ausstellung können die beteiligten Geldgeber theoretisch durchaus eigene Vorstellungen und Interessen mitbringen. Wie sich ein Ausstellungshaus hierzu positioniert, steht auf einem anderen Blatt. Als Publikum bekommt man hiervon gewöhnlich wenig mit.

In dieses Kräfteverhältnis also grätscht Hans Haacke gern in seinen Ausstellungen. Er tut dies vielleicht nicht einmal in der Absicht, zu provozieren – seine Arbeiten provozieren nur zufällig eben manchmal. Oder manche(n). Die Geldgeber des New Yorker Museum of Modern Art wie später auch des Guggenheim schäumten jedenfalls ihrerzeit vor Wut: Haacke hatte zur Ausstellungseröffnung dort in einer interaktiven Arbeit jeweils auf die monetären Verwicklungen zwischen Museum und Immobilienspekulation in New York oder die Finanzierung des Kriegs in Indochina verwiesen – und Besucherinnen und Besucher zur Abstimmung über diesen Sachverhalt gebeten. Was wie ein gut formulierter Künstlerwitz
klingt, war keineswegs abgesprochen – und bescherte dem Künstler den Ruf, unausstellbar, eben ein Risiko zu sein. Manche drohten ihm gar direkt, er werde nie wieder einen Fuß in die Kunstwelt bekommen.



Hans Haacke, The Right to Life (Das Recht auf Leben), 1979,Farbfotografie auf 3-Farben- Siebdruck auf Seidengewebe, 127 × 101 cm, Edition 2/2, Sammlung Lila und Gilbert Silverman, DetroitCourtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Steven Probert



Hans Haacke, Shapolsky et al. Manhattan-Immobilienbesitz – Eingesellschaftliches Realzeitsystem, Stand 1.5.1971, Schwarz-Weiß-Fotografien, maschinengeschriebene Karten, jedes Paar 20,5 × 31 cm, Edition 2/2, Sammlung MACBA. MACBA Stiftung, Courtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Hans Haacke

Kritische Reflexion in über-transparenten Zeiten: Was würde Haacke tun?

Manchen gilt Haacke als Begründer der Institutionskritik als Kunstform; sicher hat er etliche beeinflusst. Und sicher ist auch, dass in über-transparenten Zeiten, in der Machtverhältnisse und Ausstellungsorte scheinbar permanent kritisch reflektiert einbezogen werden, die Dinge oft eher verwischen als klarer werden. Vielleicht müsste man den Blick verschieben, weiten. Ist der Kulturbetrieb doch längst eine soft power, die auch von autokratischen Regimen zunehmend für sich entdeckt wird.

Was würde Haacke tun? Auch das kann man sich in dieser Retrospektive nun fragen, ohne zwangsläufig Antworten zu bekommen. Die diebische Freude an der Sache selbst scheint Motor für Haackes Wirken, das oft genug sein Publikum nicht nur einbezieht, sondern aktiv herausfordert. Personenkult ist ihm zuwider, fotografieren lässt er sich nur selten. Interviewanfragen beantwortet er allenfalls gelegentlich. Den Künstler als Welterklärer, ein gefragter Typus dieser Zeit, gibt er nicht. Haackes Kunst kann politisch sein, ohne sich moralisch über ihr Publikum zu erheben.



Hans Haacke, Gift Horse, 2014, Bronze mit schwarzer Patina und Wachsfinish, Befestigungen und Halterungen aus Edelstahl, flexible 5-mm-LED-Anzeige mit Edelstahlarmatur und Polycarbonat-Front,464,8 × 429,3 × 165,1 cm, Courtesy: der Künstler und Paula CooperGallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Steven Probert



Hans Haacke, Large Condensation Cube (Großer Kondensationswürfel), 1963–1967, Acrylglas, destilliertes Wasser, 76 × 76 × 76 cm, Sammlung MACBA, MACBA Stiftung, Geschenk des Nationalkomitees und des Kuratoriums des Whitney Museum of American Art, Courtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Hans Haacke

Haackes Kunst ist im besten Sinne zugänglich

Nun haben es Retrospektiven so an sich, dass sie oft auch mit einer Art sanften Zähmung einhergehen; empörte und schockierte Reaktionen auf bestimmte Kunstwerke entspringen ihrer Zeit und lassen sich nicht so ohne weiteres reproduzieren. Das muss kein Manko sein, im Gegenteil. Hatte Hans Haacke doch immer schon etwas ganz anderes im Sinn als Aktivismus (denn auch der ist ja oft genug an eine Art Personenkult gebunden). Seine Kunst atmet Freiheit, Klugheit und Witz; alles Qualitäten, die man heute mühelos
wieder entdecken kann.

Zudem ist sie im besten Sinne zugänglich, auf eine Weise universal verständlich. Wie die Arbeit „News (Nachrichten)“, einst für die Kunsthalle Düsseldorf konzipiert, in dem ein Fernschreiber alle Nachrichten ausdruckt, die von der DPA übermittelt werden. Danach werden die Ausdrucke zur Lektüre ausgestellt und schließlich mit einem Etikett versehen, datiert und in Plexiglasbehältern eingelagert. Ein frühes Beispiel der Medienkunst, das in veränderten Lebenswelten ganz neue Wirkung entfalten kann. Ähnlich wie Haackes ökologisch oder sozialbewegten Arbeiten. Und wenn es einmal nur darum geht, dem Roggengras beim Wachsen zuzuschauen.



Hans Haacke, Denkmal der Strandverschmutzung, 1970, Platten aus Baumaterial, Plastikbehälter und andere Abfälle, die von einem 200 × 50 cm großen Strandabschnitt gesammelt und zu einem Haufen aufgeschichtet wurden, ausgeführt in Carboneras, Spanien, C-Print auf Aluminium, 39 × 60 cm, Courtesy: der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York, © Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Hans Haacke
 
7. November 2024, 16.59 Uhr
Katharina J. Cichosch
 
Katharina Cichosch
 
 
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