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Foto: Detlef Kinsler
Foto: Detlef Kinsler

Johanna Borchert im Interview

„Wir schmücken uns mit fremden Federn“

„Spacetimeshifting“ heißt der Opener von „Love Or Emptiness“, der neuen CD von Johanna Borchert. Ausdruck der Verwirrung der Menschheit und für eine zeit-, raum- und stilübergreifende Musik. Ein Interview mit der Berliner Musikerin.
JOURNAL FRANKFURT: Auch wenn Sie 2015 den Echo Jazz als „Beste Sängerin National“ für Ihr Album „FM Biography“ gewonnen haben, unter Jazz haben wir Sie nicht sortiert bei unseren Konzertvorschauen ... Und Sie haben ja selbst einmal gesagt, was an meiner Musik Jazz ist, ist die Einstellung ... So offensichtlich ist das ja auch nicht mit dem Jazz...

Außer auf meiner Klavierplatte...

Die kann ja auch anders lesen...

Als Neue Musik ... Das ist wahrscheinlich genau das Andersartige oder Besondere an und meiner Musik. Ich bin halt sehr vielseitig und ich glaube deswegen versteht man mich auch als Jazzmusikerin. Das bin ich ja auch von meinem Hintergrund her, denn ich habe ja Jazz studiert. Insofern bin ich in der Szene bekannt und habe mich auch in der Szene bewegt, in den Club und auch den Festivals. Aber eigentlich war meine Musik schon immer Grenzgängermusik in jeglicher Beziehung. Alles was ich gemacht habe, war nie eindeutig einzuordnen und ich finde das ganze Thema auch schwierig. Am liebsten hätte ich einen eigenen Begriff für meine Musik kreiert.

Jazz wird doch immer erst dann richtig interessant, wenn er die Grenzen dessen, was die meisten als Jazz begreifen, sprengt. Und wer Klavier studiert hat, kommt wohl kaum ohne Spätromantik, Impressionismus, Minimalismus aus...

Ich sehe das ganz genauso. Wir, meine Band und ich, sind ja alle ausgebildete Jazzmusiker. Deswegen habe ich ja auch bei der neuen CD „Love Or Emptiness“ mit Olaf Opal einen Popproduzenten mit ins Studio genommen, einfach um die vier Jazzgehirne mit einem Popgehirn zu konfrontieren und dadurch den Pool an Möglichkeiten, Ideen und auch Sichtweisen zu erweitern.

Da kommen wir aber zu dem Punkt: was bedeuten diese blödsinnigen Kategorien, Jazz, Pop? Vom Typ her ist Olaf Opal Ihnen doch sehr nahe...

Stimmt, eigentlich ist er uns auch sehr ähnlich.

Die Kommerzschreiber würden jetzt, um Sie besser verkaufen zu können, unter Opals Produktionen natürlich Juli erwähnen, ich denke eher an The Notwist und vielleicht noch an Die Sterne. Es ist ja auch eine Frage, von welcher Seite man sich dem Ganzen nähere. So sehr wie Sie Jazz sind, sind sie auch Klassik, Rock’n’Roll, haben eine Electro-Tendenz, sind psychedelisch oder haben eine Nähe zu Filmmusik ... Und da alles in ganz eigener Definition...

Das fände ich traumhaft, wenn da mal ein Artikel so auf die Kacke haut. (lacht)

Das mache ich glatt. Ich fände es nämlich schön, wenn die Leute Musik mal anders wahrnehmen würden. Man kann sie allerdings mit Aussagen irritiert, wenn man beispielsweise Björks neues Album als – allerdings gut hörbare – zeitgenössische (klassische) Musik beschreibt...

Deswegen kann ich den oft auftauchenden Vergleich Björk (und nicht nur deswegen) auch nachvollziehen, weil man kann sie überhaupt nicht einordnen. Nur weil den Songs ein paar Beats unterlegt sind, wird sie am ehesten noch unter Elektronik einsortiert. Man muss sich auch bei vielen Musikern und Bands, die groß rauskommen, mal angucken, was sind deren Hintergründe und Laufbahnen, womit beschäftigen sich die Musiker tatsächlich? Dann wird man feststellen, die meisten von ihnen stehen nicht nur für eine Sache, sie sind total vielseitig ausgebildet und aufgestellt.

Von daher ist ein Titel gleich zum Anfang des Albums fast programmatisch, denn der heißt „Spacetimeshifting“...

Ja, ganz genau. (lacht). Darum geht´s ja in den Songs, auch um unsere Verwirrung als Menschheit.

Eine interessante Frage ist dabei: wenn man vom „Orchestre idéal“, dem bereits erwähnten instrumentalen Piano solo-Album, kommt, wie erschließt man sich dann das Songformat als Kunstform über „FM Biography“ bis heute...?

Ich habe ja schon in den beiden Bands, Schneeweiss & Rosenrot und Little Red Suitcase, mit denen ich jahrelang auf Tour war, Songwriting betrieben. Das waren richtige Bands, wo alle gleichberechtigt waren, wo es keinen Leader gab, sondern alle komponiert haben. Da arbeitete ich viel mit Sängerinnen zusammen und deswegen lag mir das nahe. Es war etwas, womit ich mich schon beschäftigt hatte. Das Neue war, dass ich jetzt selber sang. Das war der große Wechsel.

Nur wie geht man mit diesem Begriff „Pop“ um, wenn man aus einer Szene kommt, in der das eher ein Schimpfwort ist?

Das stimmt, aber umgekehrt ist es ja auch so. Für Menschen, die sich in der Popwelt bewegen, ist Jazz ein No Go. Das ist ganz schwierig. Man will ja auch nicht ständig die Problematik dessen kommunizieren, weil psychologisch gesehen ist es ja kein Problemfall, dass ich diese Musik mache, die nicht einzuordnen ist, sondern eher ein Kunstgriff. Genau das ist ja das Besondere. Man muss herausfinden wie man das so kommuniziert, dass das the new shit ist, wo eigentlich alle hinwollen. Das ist ja eigentlich auch so. Ich stelle jedenfalls immer wieder fest, dass ich tatsächlich Leute aus allen möglichen Genres irgendwie mit meinen Songs begeistern kann. Das ist möglich. Nur: wie kriegt man die erst mal ins Konzert? Das ist eine Frage der Kommunikation und eben auch der Presse.

Man muss den Leute natürlich auch begreiflich machen, dass diese angeblich so schwierige Musik, etwas ganz Natürliches und nichts Aufgesetzten, Konstruiertes ist...

Auch das. Aber wenn man mich und meine Musik jetzt verfolgt, mich schon über Jahre kennt, dann weiß man, dass das eine ganz natürliche, keine abgefahrene Entwicklung ist. Wir leben halt in einer schnelllebigen Zeit, wo man sich nicht großartig mit der Geschichte eines Künstlers beschäftigt. Das machen nur die wirklichen Fans.

Und bei aller Komplexität sind immer Emotionen Ausgangspunkt für die Kompositionen. Schließlich geht es hier nicht darum, experimentell des Experimentierens wegen zu sein. Wer braucht schon Kunst um der Kunst willen?

Es ist neue Musik, die anspruchsvoller ist fürs Hirn sage ich mal. Ich höre tatsächlich wenig Radio, habe mich in letzter Zeit mal mehr mit diesem Medium beschäftigt, um einfach das alles – aus beruflichen Gründen quasi – besser einschätzen zu können. Ich wollte erfahren was ist denn Popmusik, wenn sie meine nicht in den großen Sendern spielen wollen? Meine Musik wird ja auch im Radio gespielt, aber eben nicht in den Mainstream-Popsender. Die Art wie man dafür Songs schreibt, ist ja komplett nach Schema F., aber es geht vor allem um den Sound und die Beats, wie die klingen, nicht um die Akkorde und die Melodien. Das unterscheidet sich nicht groß von meiner Musik.

Es ist natürlich auch oft eine Frage der Popularität des Künstlers. Ein Grönemeyer kann sich Ecken und Kanten erlauben und wird dennoch gespielt. Eine Ballade wie Ihr „It´s Been A While“ auf „FM Biography“ hätte da keine Chance, ist in meinen Ohren aber absolut radiokompatibel...

Das finde ich halt auch schade, dass sich das in diese Richtung entwickelt hat. Ich finde das ist viel zu eng gefasst.

Es ist ja auch ein gesellschaftliches Phänomen, dass viele Leute eine tiefer gehende Musik gleich als melancholisch, gar depressiv begreifen und nicht als kathartisch und befreiend. Zu fröhliche Musik macht doch eher depressiv. Im Zusammenhang mit Ihrer neuen Platte kann man dann auch nur sagen: es gibt keine Schönheit ohne Dissonanzen...

Ja genau ...

Ist da nicht sogar ein klassischer Tritonus darauf?

Ja (lacht).

Ausgerechnet bei „Who´s To Say“, dessen Beat doch recht straight klingt. Sind das am Ende Vermeidungsstrategien, ja nicht zu poppig zu werden?

Ja, genau. Aber ernsthaft: nein – ich denke nicht in solchen Kategorien. Ich mache einfach nur Musik.

Die Experimentier- und Improvisationslust auszuleben, das macht ja auch unglaublich viel Spaß. Eine andere Frage: Wie wichtig sind denn bei Ihnen die Mitmusiker, der Produzent, wie fix ist Ihre Musik denn schon bevor sie schließlich produziert wird? Es wirkt ja immer, als hätten sie eine ganz klare Vision von dem, was sie aufnehmen wollen...

Sie meinen wieviel Einfluss sie haben?

Und wie sehr sie das Endprodukt beeinflussen können ... Oder ist aller so klar im Kopf, dass man sie danach ausgewählt hat, dass sie gut ins Bild passen?

Es ist wohl eine Mischung aus beidem, aber es ist ganz schwer zu sagen, denn da kommen so viele Faktoren zusammen. Ich glaube der einzige Weg, alles komplett vorherzubestimmen, wäre, dass man das am Computer alles selber einspielt, jedes Instrument, und den Musikern dann die Noten hinlegt und sagt, genauso will ich das haben. Das wäre die klassische Herangehensweise. Oder auch bei viel Popmusik, da wird auch alles vorproduziert. Wir schmücken uns immer mit fremden Federn, das kann man nicht anders sagen. Das habe ich beim Jazz echo vergessen zu sagen, aber ich wurde ja sowieso rausgeschnitten aus der Fernsehsendung, insofern ist es auch egal. Wir schmücken uns alle mit fremden Federn, indem wir sagen, wir sind ja nicht die alleinigen Götter und Herrscher in unserer Welt. Das können wir auch gar nicht sein. Wir brauchen alle einander und das ist schön so. Ich kann nur sagen, ich habe eine starke Vorstellung von den Songs, die ich schreibe. Es gibt gewisse Dinge, die müssen rüberkommen und die dürfen nicht kaputt gemacht werden indem da jemand zu laut oder zu viel oder wenig, je nachdem, dazu sagt. Es gibt natürlich ganz viele Punkte wo ich sage, das passt jetzt nicht, das will ich so nicht haben, mach’ das mal mehr so. Dann findet man zusammen mit den Musikern zu einem Resultat und deren Art zu spielen, inspiriert ja auch.

Und wenn dann noch ein Produzent dazu kommt...

... hat man noch einmal einen Kopf, der von außen darauf hört und sagt: cool, aber ich bin in dieser Musik besser bewandert, da stecken noch zu viele Ideen drin, warum probierst Du das nicht mal so? Dann probiert man das und denkt als Jazzschlagzeuger, das ist aber langweilig, ich habe so viele Ideen, ich möchte die gerne alle zeigen, und später checkt man erst, das ist ja irgendwie geil, das kriegt so viel mehr Kraft dadurch. Das sind verschiedene Prozesse, die da stattfinden und manchmal sagt man auch, ach ne, lieber Produzent, wir finden jetzt unsere Version cool. Da gibt es alles und das kann man so auch nicht vorhersehen und das ist auch gerade schön, finde ich. Das ist auch die Jazzherangehensweise von der ich spreche. Es gibt eine Offenheit in der Herangehensweise, aber natürlich möchte ich meine Songs so kraftvoll wie möglich haben, herausholen, was sie als Komposition hergeben. Und da habe ich schon eine sehr starke Vorstellung und Intuition, auch ein musikalisches Gefühl, die das alles leitet und die ich auch nicht unterbuttern lasse durch die Meinung anderer. Wenn ich merke, jemand sieht das zwar anders, aber ich will das genau so, dann ist das so, dann müssen sie mir auch folgen, denn es ist ja meine Musik und mein Projekt.

Viele dachten vielleicht bei der Produktion von „FM Biography“ mit den drei Jazzcracks, dass man sich mit denen gar nicht auf Augenhöhe treffen kann. Aber gerade solche Profis haben ein Gespür dafür, was die Musik ist und braucht und sie kämen nie auf die Idee gekommen, ihr Ego ausleben zu wollen und der Musik etwas überzustülpen ...

Ich bin ja auf Augenhöhe mit denen. Fred Frith (der Gitarrist) ist vielleicht ein Star, aber auch der hat mir vor Jahren schon gesagt, ich sei so weit, ich könnte jetzt mit jedem spielen.

Das Ganze wirkte jedenfalls zu jeder Minute homogen, da ging es auch nicht um Namedropping. Es war halt keine gewachsene Band wie die, die Sie jetzt haben...

Das war ja auch gar nicht so gedacht. Mir ging es darum, die Musik einfach mal aufzunehmen, die ich über Jahre geschrieben hatte, und ich dachte erst ich mache das mit Julian Sartorius, dem Schlagzeuger, im Duo. Julian hat viel mit dem Bassisten Shazad Ismaily gearbeitet, ich hatte mit ihm auch schon mal gespielt und Julian schlug ihn als eine Art Produzenten vor und so kam er dazu. Und ich wollte auch immer schon mal eine Duoplatte mit Fred machen, das hatten wir so geplant. Die Trioidee hat zeitlich erst nicht hingehauen und schließlich ist eine Quartettplatte daraus geworden. Das war dann alles irgendwie Zufall und wieder auch nicht, weil ich die Musiker für passend empfunden habe für diese Produktion.

Sehen wir es als Schicksal.

Aber die nächsten Platte wollte ich nicht genauso angehen, denn jetzt habe ich meine handfeste Berliner Band mit der ich zwei Jahre auf Tour war.

Kurz noch zum aktuellen Albumtitel. Da könnte man denken bei „Love Or Emptiness“, der eine Begriff ist positiv, das andere negativ besetzt. Und dann gab es schon Statements von Ihnen, die Leere sie gar nicht so konnotiert ...

Ich habe den Titel deswegen gewählt, weil wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, dann wird man schnell merken, dass das kontrovers ist, dass da mehr dahintersteckten muss, man das unterschiedlich auslegen kann. Und wenn man sich dann noch mit den Songtexten beschäftigt, vor allem mit dem Rumi-Gedicht, dann wird man merken, dass da wahrscheinlich wohl gar kein Gegensatz dahintersteckt.

>> Johanna Borchert & Band, Ffm, Brotfabrik, 18.1.2018, 20 Uhr, Eintritt: VVK 15,–/AK 18,–
 
19. Dezember 2017, 09.00 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
Fotogalerie:
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