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Foto: Anja Beutler
Foto: Anja Beutler

Ich reloaded bei den Frankfurter Positionen 2017

Irrgärten der Doppelgänger

Bei den Frankfurter Positionen, die am Freitag beginnen, untersuchen Musiker und Performer, Tänzer und Sozialwissenschaftler, wie die digitalen Untiefen des Netzes das Ich verändern.
„Es ist üblich bei uns, dass wir so ein Projekt auf uns zukommen lassen“, erzählt der Schlagzeuger Rainer Römer vom Ensemble Modern. „Wir nehmen Vorschläge gern auf und stellen Durchlässigkeit her, wir lassen viel zu.“ Die Rede ist von dem Projekt „Haben Sie ‚modern‘ gesagt?“, das der französische Choreograf Xavier Le Roy zurzeit mit dem Ensemble Modern erarbeitet. Und die Musiker wagen damit einmal mehr den Sprung ins kalte Wasser. Denn produziert wird das Projekt von den Frankfurter Positionen, einem Uraufführungsfestival, das alle zwei Jahre neue Werke in Auftrag gibt – Unberechenbarkeiten inklusive.

Und so haben Xavier Le Roy und zwei seiner Kollegen vom Issho Ni Ensemble in den letzten Monaten Interviews mit Musikern, aber auch mit Bürokräften und Technikern des renommierten Frankfurter Musikensembles geführt, um herauszufinden, wie ganz profane Arbeitsabläufe stattfinden und was die einzelnen Musiker mit ihrer Musik verbinden. Die Interviews werden zum Hintergrundmaterial einer Ausstellung, die das Ensemble Modern präsentiert – allerdings sei es kein Porträt, meint Rainer Römer. Vielmehr ginge es auch darum, herauszufinden, was die Arbeit eines Musikensembles ausmacht und was man mit moderner Musik verbindet.

Präsentiert wird „Haben Sie ‚modern‘ gesagt?“ (28./29.1.) als sechsstündige Ausstellung im Frankfurt LAB, mit zwölf Musikern und zahlreichen anderen Mitarbeitern. „Xavier Le Roy hat sich viel mit dem Sozialkörper, der Gesamtheit Ensemble Modern beschäftigt und diese in Einzelaspekte zerlegt. In der Ausstellung tauchen diese jetzt in kleinen Szenen oder Zuständen auf, es wird aber nichts gespielt oder vorgemacht, es sind eher Momentaufnahmen von Befindlichkeiten, die er vorgefunden hat.“ Zwischen diesen Momentaufnahmen kann der Zuschauer wandeln wie durch eine Ausstellung.

Das künstlerische Wagnis, das Gattungsgrenzen zwischen zeitgenössischer Musik, Performance und Bildender Kunst spielerisch überschreitet, ist gewissermaßen ein Paradefall für die Frankfurter Positionen. Initiiert von der BHF-Bank-Stiftung, entstehen sie in Kooperation mit vielen Kultureinrichtungen der Stadt, darunter Museen und Theater, aber auch Hochschulinstitutionen. Eine Spezialität der Positionen sind darum gerade jene künstlerischen Arbeiten, die sich zwischen den Sparten bewegen, zwischen Tanz und Theorie, Performance, Musik und Bildender Kunst. Ein wechselndes Thema soll dabei Verbindungen und Verknüpfungen schaffen zwischen dem Heterogenen. In diesem Jahr heißt das Thema „Ich Reloaded“ und fragt nach dem Subjekt im digitalen Netz, also danach, wie die unendlichen Spiegelungen, Bilder und Erzählungen, die wir im virtuellen Raum von uns entwerfen, unser Selbstverständnis verändern. Explizit verhandelt werden diese Fragen bei der „Langen Nacht der Sozialforschung“ (4.2.), die im Museum für Moderne Kunst (MMK) stattfindet: Von 19 Uhr bis Mitternacht gibt es da Vorträge aus dem Umfeld des renommierten Instituts für Sozialforschung, aber auch ein Konzert, und natürlich kann die aktuelle Ausstellung des MMK 1 durchstreift werden.

Eröffnet wird das Festival von einem Künstler-Duo, das sich in den Weiten des digitalen Netzes bestens auskennt: Chris Kondek und Christiane Kühl zeigten am Künstlerhaus Mousonturm zuletzt „Anonymous P.“, eine performative Installation, die die geheimen Aktivitäten von Smart­phones untersuchte und die Informationen sammelte, die diese ständig über ihre Nutzer preisgaben. Nun spüren sie unter dem Titel „You are out there“ (27.–29.1.) der wachsenden Bedeutung unserer digitalen Doppelgänger nach. Zugleich folgen sie den Spuren, die wir dank Geburtsurkunde, Führerschein, Pass und Visa in den Datenbanken der Bürokratien hinterlassen – und verbinden die ökonomischen Interessen des Netzes mit denen des Sicherheitsstaates. Das klingt anspruchsvoll und komplex. Doch weil Kondek und Kühl stets einen spielerischen Gestus pflegen, weil sie stets klare szenische Bilder entwickeln für das Abstrakte, dürfte auch hier gewährleistet sein, dass das Publikum nicht verlorengeht im Irrgarten der Doppelgänger. Außerdem gibt es Uraufführungen im Schauspiel Frankfurt, Konzerte und Choreografien – also viel zu entdecken zwischen Virtuellem und Realem, und in den Spielfeldern zwischen den Künsten.

>> Frankfurter Positionen, Festival
Ffm: 27.1.–12.2., www.frankfurterpositionen.de

Eine Version dieses Artikels ist zuerst in der Printausgabe des Journal Frankfurt vom 24. Januar 2017 erschienen. Das Foto zeigt die Choreografin Eisa Jocson, die dem Cinderella-Mythos nachspürt.
 
27. Januar 2017, 11.51 Uhr
Esther Boldt
 
 
Fotogalerie:
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