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Gisela Getty und Jutta Winkelmann
Götterkinderdämmerung
Jutta Winkelmann und Gisela Getty waren Ikonen der 68er. Nun liegt Jutta Winkelmann im Sterben. In einem erschütternden Buch rechnet sie mit ihrer Krankheit und ihrem Leben ab. Dienstagabend gibt es eine Lesung.
Sie waren möglicherweise so etwas wie It-Girls, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Oder waren sie doch weit mehr als das? Jutta Winkelmann und ihre Zwillingsschwester Gisela Getty waren die Glamour-Figuren der 68er-Bewegung. Sie führten ein ausschweifendes Künstlerleben in Rom, Los Angeles und München, hatten Umgang mit Mick Jagger, Dennis Hopper, Robert de Niro und Bob Dylan. In den Siebzigern gründeten sie gemeinsam mit Rainer Langhans den so genannten „Harem“, eine spirituell ausgerichtete Lebensgemeinschaft. Und Gisela Getty lernte 1973 in Rom den seinerzeit 16-jährigen Millionärssohn Paul Getty kennen, der später von der Mafia entführt wurde. Gisela Getty und Jutta Winkelmann wurden seinerzeit der Mittäterschaft bezichtigt; Paul Getty verlor sein rechtes Ohr.
Ein Zwillingspaar, das 1949 unter dem Namen Schmidt in Kassel geboren wurde und für Aufruhr sorgte: Wilde Partys, Drogen, Grenzerfahrungen, sexuelle Befreiung. Der ebenfalls in Kassel geborene und lange Zeit in Frankfurt ansässige Schriftsteller Jamal Tuschick hatte 2008, pünktlich zum 68er-Jubiläum, in Zusammenarbeit mit den beiden Schwestern deren Geschichte aufgeschrieben. Das Buch „Die Zwillinge“ war zugleich der Auftakt für den von Rainer Weiss und Anya Schutzbach gegründeten Verlag weissbooks.w. Und eben dort ist nun das Buch von Jutta Winkelmann erschienen. „Mein Leben ohne mich“ hat rein gar nichts mehr zu tun mit Glamour. Es ist eine radikale und auch bestürzende Selbstentblößung.
Jutta Winkelmann wird bald sterben. Möglicherweise bereits in den nächsten Tagen. Es ist nicht despektierlich, das so deutlich zu sagen, weil sie selbst in den Medien völlig offen mit ihrer Krankheit umgeht. Sie hat Fotografen und Kamerateams, beispielsweise auch der Frankfurter Filmemacherin Tina Soliman für einen Beitrag für die Kultursendung ttt, die Tür zu ihrem Krankenzimmer geöffnet und Interviews aus dem Bett heraus gegeben. Die schonungslose Offenheit ist ihre Art, mit dem Knochenkrebs, der ihr fürchterliche Schmerzen bereitet und der ihren Körper von innen auffrisst, umzugehen. In „Mein Leben ohne mich“ erzählt Jutta Winkelmann von ihrem Krankheitsalltag, von den nahezu unerträglichen Schmerzen, gegen die auch keine noch so starken Medikamente mehr helfen, vom Verlust ihrer Haare durch die aggressive Chemotherapie. Sie schaut in einer Mischung aus Verwunderung und Wut dem Verfall ihres Körpers zu. Und sie registriert, wie mit der Erniedrigung, die mit der Krankheit verbunden ist, auch ihre Individualität, ihre Persönlichkeit verloren geht. Das Wichtigste, das sie dereinst einmal hatte.
Das allein ist schon schwer auszuhalten. Aber es gibt auch noch einen anderen, geradezu theologischen Aspekt in diesem Buch: Jutta Winkelmann rechnet mit sich selbst und ihrem Dasein ab. „Das ganze Leben vermasselt und in den Sand gesetzt“, heißt es in einer Sprechblase. Ja, Sprechblase. Denn „Mein Leben ohne mich“ hat zwei Teile: Einen Textteil und einen knapp doppelt so langen Part in Form einer Graphic Novel. Verfremdete Fotografien, die das Leiden der Jutta Winkelmann in Comicform darstellen. Und eine Reise, die sie gemeinsam mit Rainer Langhans nach Indien unternommen hat, als sie noch halbwegs bei Kräften war. Es geht bei Jutta Winkelmann noch immer um Sinnsuche, um Spiritualität. Gerade jetzt, sagt ihre Schwester, stelle sie sich die Frage nach Gott. Ob es ihn gäbe und falls ja, welchen Sinn all das habe. In einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk sagte Jutta Winkelmann noch Anfang Dezember, dass die Intensivierung von Verbundenheiten eine der wertvollen Erfahrungen gewesen sei, die die Krankheit ihr beschert habe.
Am 14. Februar wollte Jutta Winkelmann eigentlich nach Frankfurt kommen, um ihr Buch im Gespräch mit Journal-Frankfurt-Chefredakteur Nils Bremer und ihrem Verleger Rainer Weiss vorzustellen. Das geht nicht mehr; ihr Zustand lässt keine Reisen zu. Stattdessen wird Zwillingsschwester Gisela Getty nach Frankfurt kommen. „Wir haben“, sagt Gisela Getty im Hinblick auf die Rauschzeit der beiden Schwestern, „uns wie Götterkinder gefühlt.“ Und dass das symbiotische Verhältnis der beiden untrennbaren Schwestern nahezu „fleischgewordene Schizophrenie“ war. Auch von diesem Gefühl heißt es nun Abschied zu nehmen.
>> Jutta Winkelmann:
Mein Leben ohne mich. Verlag weissbooks.w, 368 S., 24,–
>> Lesung und Gespräch
mit Gisela Getty, Anya Schutzbach, Rainer Weiss und Nils Bremer: Ffm: Ausstellungshalle Schulstraße 1a, 14.2., 19 Uhr, Eintritt frei
Ein Zwillingspaar, das 1949 unter dem Namen Schmidt in Kassel geboren wurde und für Aufruhr sorgte: Wilde Partys, Drogen, Grenzerfahrungen, sexuelle Befreiung. Der ebenfalls in Kassel geborene und lange Zeit in Frankfurt ansässige Schriftsteller Jamal Tuschick hatte 2008, pünktlich zum 68er-Jubiläum, in Zusammenarbeit mit den beiden Schwestern deren Geschichte aufgeschrieben. Das Buch „Die Zwillinge“ war zugleich der Auftakt für den von Rainer Weiss und Anya Schutzbach gegründeten Verlag weissbooks.w. Und eben dort ist nun das Buch von Jutta Winkelmann erschienen. „Mein Leben ohne mich“ hat rein gar nichts mehr zu tun mit Glamour. Es ist eine radikale und auch bestürzende Selbstentblößung.
Jutta Winkelmann wird bald sterben. Möglicherweise bereits in den nächsten Tagen. Es ist nicht despektierlich, das so deutlich zu sagen, weil sie selbst in den Medien völlig offen mit ihrer Krankheit umgeht. Sie hat Fotografen und Kamerateams, beispielsweise auch der Frankfurter Filmemacherin Tina Soliman für einen Beitrag für die Kultursendung ttt, die Tür zu ihrem Krankenzimmer geöffnet und Interviews aus dem Bett heraus gegeben. Die schonungslose Offenheit ist ihre Art, mit dem Knochenkrebs, der ihr fürchterliche Schmerzen bereitet und der ihren Körper von innen auffrisst, umzugehen. In „Mein Leben ohne mich“ erzählt Jutta Winkelmann von ihrem Krankheitsalltag, von den nahezu unerträglichen Schmerzen, gegen die auch keine noch so starken Medikamente mehr helfen, vom Verlust ihrer Haare durch die aggressive Chemotherapie. Sie schaut in einer Mischung aus Verwunderung und Wut dem Verfall ihres Körpers zu. Und sie registriert, wie mit der Erniedrigung, die mit der Krankheit verbunden ist, auch ihre Individualität, ihre Persönlichkeit verloren geht. Das Wichtigste, das sie dereinst einmal hatte.
Das allein ist schon schwer auszuhalten. Aber es gibt auch noch einen anderen, geradezu theologischen Aspekt in diesem Buch: Jutta Winkelmann rechnet mit sich selbst und ihrem Dasein ab. „Das ganze Leben vermasselt und in den Sand gesetzt“, heißt es in einer Sprechblase. Ja, Sprechblase. Denn „Mein Leben ohne mich“ hat zwei Teile: Einen Textteil und einen knapp doppelt so langen Part in Form einer Graphic Novel. Verfremdete Fotografien, die das Leiden der Jutta Winkelmann in Comicform darstellen. Und eine Reise, die sie gemeinsam mit Rainer Langhans nach Indien unternommen hat, als sie noch halbwegs bei Kräften war. Es geht bei Jutta Winkelmann noch immer um Sinnsuche, um Spiritualität. Gerade jetzt, sagt ihre Schwester, stelle sie sich die Frage nach Gott. Ob es ihn gäbe und falls ja, welchen Sinn all das habe. In einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk sagte Jutta Winkelmann noch Anfang Dezember, dass die Intensivierung von Verbundenheiten eine der wertvollen Erfahrungen gewesen sei, die die Krankheit ihr beschert habe.
Am 14. Februar wollte Jutta Winkelmann eigentlich nach Frankfurt kommen, um ihr Buch im Gespräch mit Journal-Frankfurt-Chefredakteur Nils Bremer und ihrem Verleger Rainer Weiss vorzustellen. Das geht nicht mehr; ihr Zustand lässt keine Reisen zu. Stattdessen wird Zwillingsschwester Gisela Getty nach Frankfurt kommen. „Wir haben“, sagt Gisela Getty im Hinblick auf die Rauschzeit der beiden Schwestern, „uns wie Götterkinder gefühlt.“ Und dass das symbiotische Verhältnis der beiden untrennbaren Schwestern nahezu „fleischgewordene Schizophrenie“ war. Auch von diesem Gefühl heißt es nun Abschied zu nehmen.
>> Jutta Winkelmann:
Mein Leben ohne mich. Verlag weissbooks.w, 368 S., 24,–
>> Lesung und Gespräch
mit Gisela Getty, Anya Schutzbach, Rainer Weiss und Nils Bremer: Ffm: Ausstellungshalle Schulstraße 1a, 14.2., 19 Uhr, Eintritt frei
13. Februar 2017, 11.25 Uhr
Christoph Schröder
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Text: Lukas Mezler / Foto: Der Käfer als Fluchtauto © Steffi Barthel
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