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Gedenktafel für Marcel und Teofila Reich-Ranicki
Warmes Gedenken im kalten Nieselregen
Eine Erinnerungstafel vor der Gustav-Freytag-Straße 36 erinnert seit Freitag an den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki und dessen Frau Teofila, die beinahe 40 Jahre dort lebten. Andrew Ranicki enthüllte die Tafel.
Rund fünfzig Personen versammelten sich am Freitagnachmittag bei ungemütlichem Nieselregen in der Gustav-Freytag-Straße 36, inmitten des Dichterviertels. Darunter Ex-Oberbürgermeisterin Petra Roth und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Salomon Korn. Nicht vor einer der prachtvollen Villen der Nachbarschaft standen sie, sondern vor einem unverputzten, vierstöckigen Mehrfamilienhaus, dessen Optik von den zahlreichen Balkonen dominiert wird. „In diesem Hause lebten von 1974 bis 2013 der Literaturkritiker und Autor Marcel Reich-Ranicki und seine Ehefrau Teofila“, ist auf seit Freitag auf einer Gedenktafel leicht missverständlich nachzulesen, letztlich war die Künstlerin Teofila „Tosia“ Reich-Ranicki bereits 2011 gestorben. Doch lang genug ist über das Schild, die Schrift darauf sowie den Inhalt debattiert worden, der erste Antrag wurde im April 2015 beim Ortsbeirat 9 gestellt. Rund 1500 Euro hat die eher kleine, silbrig glänzende Tafel gekostet, die die Eigentümergemeinschaft, der Ortsbeirat und die Bürgervereinigung Dichterviertel, koordiniert vom Kulturdezernat angeschafft haben. Mit Andrew Ranicki, seiner Frau Ida Thompson, deren Tochter Carla Ranicki und letztlich dem Urenkel Nico Marcel Vallauri waren gleich drei Nachfolgenerationen des Literaturkritikers bei der feierlichen Tafelenthüllung zugegen.
Hans Markus von Kaenel, Sprecher der Eigentümergemeinschaft, erinnerte an die berühmten Bewohner des Hauses, die im zweiten Stock sesshaft waren. Kaenel sprach von den lauten Telefonaten, die aus dem Haus schallten, von den vielen Büchersendungen, die an die Adresse geliefert wurden und von Opernarien, die man bis auf die Straße hören konnte, so als sei man im Konzertsaal. Für die Bewohner des Hauses waren die Reich-Ranickis eben Nachbarn, keine Prominenten. Und umgekehrt verband man viel mit dem Literaturkritiker, das Literarische Quartett etwa oder die FAZ, aber dass der Literaturkenner ausgerechnet im Dichterviertel in Frankfurt wohnte, dann auch noch in einer Straße, die nach einem Schriftsteller benannt ist, dem man Antisemitismus vorwarf, das ist schon eine Ironie des Schicksals.
Nicht minder kurios ist, dass es sich bei der amtierenden Kulturdezernentin Ina Hartwig ebenfalls um eine anerkannte Literaturkritikerin handelte, die nun am Freitag ihre Erinnerungen an Marcel Reich-Ranicki mit dem Publikum teilte. Im Sommer 2006 habe sie das Glück gehabt, die Reich-Ranickis besuchen zu können zwecks eines Interviews, dem der Publizist mit anfänglichen Misstrauen begegnet war und sich dann doch recht offen gab. Hartwig lobte Ranickis Brillanz und Wachheit, seine Liebe und Leidenschaft zur Literatur, die bis zum Schluss sein Wesen ausgemacht habe. Auch wenn man über seinen Literaturgeschmack habe streiten können, etwa über seine Meinung zu Musil. „Warum kam er 1958 zurück nach Deutschland? Ich glaube, es lang an der deutschen Sprache und an der Liebe zu seiner Mutter, die ihm die Sprache nahebrachte“, sagt Hartwig.
Ortsvorsteher Friedrich Hesse erinnerte daran, wie Marcel Reich-Ranicki regelmäßig das Café Christine und den Eissalon sowie die Apotheke besucht habe und wie ihm das Laufen immer schwerer gefallen war, bis er im Rollstuhl saß. In der Grillparzer Straße habe jemand einen Stuhl unter ein Vordach gestellt, damit sich Reich-Ranicki auf halbem Wege ausruhen konnte. Es sei seiner Persönlichkeit zu verdanken, dass ihn sowie seinen Sprachduktus und die markante Stimme auch kannte, wenn man mit Literatur so gar nichts am Hut hatte.
Die ehemalige Oberbürgermeisterin Petra Roth ist stolz, Marcel und Tosia als ihre Freunde bezeichnen zu können. Frankfurt sei nach Berlin die zweite Stadt, die den Literaturkritiker mit einer Plakette ehre. Er sei konsequent und streng gewesen und habe die Menschen zum Lesen erzogen. Zudem habe er das Vorurteil widerlegt, dass Kritiker gescheiterte Schriftsteller seien. Zudem habe er einen Lehrstuhl für deutsche Literatur in Tel Aviv innegehabt. Marcel Reich-Ranicki, der neugierig gewesen sei und konstruktiv und analytisch denkend, habe den Ruf Frankfurts als Stadt der Weltliteratur fortgesetzt.
Und letztlich verriet der Sohn, Andrew Ranicki (Foto), dass seine Eltern in Warschau und in London gelebt hätten und die letzten Jahrzehnte in Frankfurt. In jeder Stadt seien sie glücklicher gewesen als in der davor. „In Frankfurt hatten sie ihre glücklichste Zeit.“ Dennoch: zu Frankfurt als Heimat wollte sich Reich-Ranicki wohl nie bekennen, lieber war ihm die Formulierung „Meine Heimat ist die Literatur“. Und so ist es nun auch auf der Gedenktafel zu lesen.
Hans Markus von Kaenel, Sprecher der Eigentümergemeinschaft, erinnerte an die berühmten Bewohner des Hauses, die im zweiten Stock sesshaft waren. Kaenel sprach von den lauten Telefonaten, die aus dem Haus schallten, von den vielen Büchersendungen, die an die Adresse geliefert wurden und von Opernarien, die man bis auf die Straße hören konnte, so als sei man im Konzertsaal. Für die Bewohner des Hauses waren die Reich-Ranickis eben Nachbarn, keine Prominenten. Und umgekehrt verband man viel mit dem Literaturkritiker, das Literarische Quartett etwa oder die FAZ, aber dass der Literaturkenner ausgerechnet im Dichterviertel in Frankfurt wohnte, dann auch noch in einer Straße, die nach einem Schriftsteller benannt ist, dem man Antisemitismus vorwarf, das ist schon eine Ironie des Schicksals.
Nicht minder kurios ist, dass es sich bei der amtierenden Kulturdezernentin Ina Hartwig ebenfalls um eine anerkannte Literaturkritikerin handelte, die nun am Freitag ihre Erinnerungen an Marcel Reich-Ranicki mit dem Publikum teilte. Im Sommer 2006 habe sie das Glück gehabt, die Reich-Ranickis besuchen zu können zwecks eines Interviews, dem der Publizist mit anfänglichen Misstrauen begegnet war und sich dann doch recht offen gab. Hartwig lobte Ranickis Brillanz und Wachheit, seine Liebe und Leidenschaft zur Literatur, die bis zum Schluss sein Wesen ausgemacht habe. Auch wenn man über seinen Literaturgeschmack habe streiten können, etwa über seine Meinung zu Musil. „Warum kam er 1958 zurück nach Deutschland? Ich glaube, es lang an der deutschen Sprache und an der Liebe zu seiner Mutter, die ihm die Sprache nahebrachte“, sagt Hartwig.
Ortsvorsteher Friedrich Hesse erinnerte daran, wie Marcel Reich-Ranicki regelmäßig das Café Christine und den Eissalon sowie die Apotheke besucht habe und wie ihm das Laufen immer schwerer gefallen war, bis er im Rollstuhl saß. In der Grillparzer Straße habe jemand einen Stuhl unter ein Vordach gestellt, damit sich Reich-Ranicki auf halbem Wege ausruhen konnte. Es sei seiner Persönlichkeit zu verdanken, dass ihn sowie seinen Sprachduktus und die markante Stimme auch kannte, wenn man mit Literatur so gar nichts am Hut hatte.
Die ehemalige Oberbürgermeisterin Petra Roth ist stolz, Marcel und Tosia als ihre Freunde bezeichnen zu können. Frankfurt sei nach Berlin die zweite Stadt, die den Literaturkritiker mit einer Plakette ehre. Er sei konsequent und streng gewesen und habe die Menschen zum Lesen erzogen. Zudem habe er das Vorurteil widerlegt, dass Kritiker gescheiterte Schriftsteller seien. Zudem habe er einen Lehrstuhl für deutsche Literatur in Tel Aviv innegehabt. Marcel Reich-Ranicki, der neugierig gewesen sei und konstruktiv und analytisch denkend, habe den Ruf Frankfurts als Stadt der Weltliteratur fortgesetzt.
Und letztlich verriet der Sohn, Andrew Ranicki (Foto), dass seine Eltern in Warschau und in London gelebt hätten und die letzten Jahrzehnte in Frankfurt. In jeder Stadt seien sie glücklicher gewesen als in der davor. „In Frankfurt hatten sie ihre glücklichste Zeit.“ Dennoch: zu Frankfurt als Heimat wollte sich Reich-Ranicki wohl nie bekennen, lieber war ihm die Formulierung „Meine Heimat ist die Literatur“. Und so ist es nun auch auf der Gedenktafel zu lesen.
2. Dezember 2016, 15.46 Uhr
Nicole Brevoord
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