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Filmvorführung „Bilder vom Flo“
Eine Frage der Schuld
Florian Lindemann war Geschäftsführer des Kinderschutzbundes und Protegé des ehemaligen Leiters der Odenwaldschule, Gerold Becker. Der Film „Bilder vom Flo“ geht seinem Leben auf den Grund.
Ein elf Jahre alter Leserbrief brachte alles ins Rollen. Die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule wurden erst im Februar 2010 publik, doch bereits im November 1999 hatte Jörg Schindler in der Frankfurter Rundschau in seinem Artikel „Der Lack ist ab“ über Vergewaltigungen und Misshandlungen durch den damaligen Leiter Gerold Becker und weitere Lehrer berichtet. Der Text wurde nicht zum Skandal, da sich die Öffentlichkeit auf die Spendenaffäre der hessischen CDU konzentrierte. Der ehemalige Odenwaldschüler Florian Lindemann jedoch nahm Schindlers Artikel zum Anlass, um einen entrüsteten Leserbrief an die Rundschau zu schreiben, in dem er die Schule und ihre Pädagogik in Schutz nahm. Der Leserbrief wurde damals nicht abgedruckt und erst 2010 in Teilen veröffentlicht. Lindemann wurde vorgeworfen, er schütze die Täter; zu dem Zeitpunkt war er bereits seit Jahren Geschäftsführer des Frankfurter Kinderschutzbundes. Zwei Monate nach der Publikation führte der Leserbrief zu seiner Entlassung. Im August 2011 starb Florian Lindemann überraschend beim Joggen.
„Mir ist wichtig, mit meinen Filmen echte Geschichten zu erzählen – und dann passiert so was Krasses in meinem Umfeld“, sagt Regisseur Julian Vogel. Der gebürtige Sachsenhäuser, Absolvent der renommierten Filmakademie Baden-Württemberg, entschloss sich dazu, seinen Diplomfilm über Florian Lindemanns Leben zu drehen. Das Thema lag quasi auf der Hand: Vogels bester Freund ist der Sohn Lindemanns, Max Rose. Dieser hatte alte Fotos, Dokumente, Dias und Tonaufnahmen von seinem Vater geerbt und bis dato nicht gesichtet. Also kehrte Vogel in seine Heimat zurück, um gemeinsam mit seinem Freund in die Vergangenheit von Florian Lindemann einzutauchen und ihm dadurch posthum die Gelegenheit einer Erklärung zu geben. Vogel und Rose wollten dahinterkommen, welcher Natur die Beziehung von Lindemann zu dem ehemaligen Leiter der Odenwaldschule war, und diese Recherche dokumentieren. „Uns ist schnell klargeworden, dass die Geschichte moralisch komplexer ist, als wir zunächst angenommen hatten“, sagt Vogel.
„Bilder vom Flo“ heißt der Dokumentarfilm, der das Leben Florian Lindemanns, seine Rolle als Familienvater und sein Verhältnis zu Gerold Becker beleuchtet. Er stellt nicht nur die Frage der Schuld, sondern konzentriert sich vor allem darauf, wie die Menschen in Lindemanns Umfeld mit diesem Thema umgehen, sich ein Bild von ihm machen. In vielen Gesprächen, die er mit Max Rose, seiner Mutter Maggie, dem Bruder Nick und Weggefährten Lindemanns führte, versucht Julian Vogel, ein genaueres Bild von Florian Lindemann als private wie öffentliche Person zu zeichnen.
Während der Dreharbeiten entdeckt Max Rose in den Unterlagen seines Vaters den vollständigen Leserbrief und liest ihn vor laufender Kamera zum ersten Mal. „Ich war wegen des Inhalts zunächst etwas konsterniert“, bekennt Rose. Das war der Anstoß, den er benötigte, um weiterzuforschen. Schritt für Schritt arbeiten die beiden Freunde die Vergangenheit Lindemanns auf, vertiefen sich immer mehr in die Geschichte. Dieser Dramaturgie folgt auch der Film. „Ich erzähle ‚Bilder von Flo‘ andersrum als klassische Dokumentarfilme“, erklärt Julian Vogel. „Ich gehe zunächst von der emotionalen Situation, von der Familie aus, und entblättere dann den thematischen Hintergrund.“ Deswegen arbeitet der Regisseur auch mit langen Kameraeinstellungen. „Ich wollte den Menschen Raum geben. Man kann ihnen sozusagen beim Denken zusehen.“ Neben der persönlichen, emotionalen Ebene legt Vogel ein besonderes Augenmerk auf die politische Komponente: „Flo war als Odenwaldschüler Teil einer Freiheitssimulation in einem unfreien System“, betont er. „Diese Frage interessierte mich sehr: Wie entstehen solche Systeme und wie kann man sich davor schützen?“ Für Max Rose spielt die Auseinandersetzung mit Lindemanns Vergangenheit die größere Rolle. Die Arbeit am Film half ihm, seinen Vater besser zu verstehen. „Meine Sicht auf ihn hat sich nicht grundsätzlich verändert, es sind vielmehr neue Aspekte hinzugekommen“, sagt er. Und fügt hinzu: „Julians Film war ein wichtiger Schritt für mich. Ich konnte dadurch eine Art Abschluss finden.“
>> Filmvorführung und Gespräch: Mal Seh’n, Adlerflychtstraße 6, 1.–2.9., je 15.30 Uhr; am 2.9. in Anwesenheit von Regisseur Julian Vogel
„Mir ist wichtig, mit meinen Filmen echte Geschichten zu erzählen – und dann passiert so was Krasses in meinem Umfeld“, sagt Regisseur Julian Vogel. Der gebürtige Sachsenhäuser, Absolvent der renommierten Filmakademie Baden-Württemberg, entschloss sich dazu, seinen Diplomfilm über Florian Lindemanns Leben zu drehen. Das Thema lag quasi auf der Hand: Vogels bester Freund ist der Sohn Lindemanns, Max Rose. Dieser hatte alte Fotos, Dokumente, Dias und Tonaufnahmen von seinem Vater geerbt und bis dato nicht gesichtet. Also kehrte Vogel in seine Heimat zurück, um gemeinsam mit seinem Freund in die Vergangenheit von Florian Lindemann einzutauchen und ihm dadurch posthum die Gelegenheit einer Erklärung zu geben. Vogel und Rose wollten dahinterkommen, welcher Natur die Beziehung von Lindemann zu dem ehemaligen Leiter der Odenwaldschule war, und diese Recherche dokumentieren. „Uns ist schnell klargeworden, dass die Geschichte moralisch komplexer ist, als wir zunächst angenommen hatten“, sagt Vogel.
„Bilder vom Flo“ heißt der Dokumentarfilm, der das Leben Florian Lindemanns, seine Rolle als Familienvater und sein Verhältnis zu Gerold Becker beleuchtet. Er stellt nicht nur die Frage der Schuld, sondern konzentriert sich vor allem darauf, wie die Menschen in Lindemanns Umfeld mit diesem Thema umgehen, sich ein Bild von ihm machen. In vielen Gesprächen, die er mit Max Rose, seiner Mutter Maggie, dem Bruder Nick und Weggefährten Lindemanns führte, versucht Julian Vogel, ein genaueres Bild von Florian Lindemann als private wie öffentliche Person zu zeichnen.
Während der Dreharbeiten entdeckt Max Rose in den Unterlagen seines Vaters den vollständigen Leserbrief und liest ihn vor laufender Kamera zum ersten Mal. „Ich war wegen des Inhalts zunächst etwas konsterniert“, bekennt Rose. Das war der Anstoß, den er benötigte, um weiterzuforschen. Schritt für Schritt arbeiten die beiden Freunde die Vergangenheit Lindemanns auf, vertiefen sich immer mehr in die Geschichte. Dieser Dramaturgie folgt auch der Film. „Ich erzähle ‚Bilder von Flo‘ andersrum als klassische Dokumentarfilme“, erklärt Julian Vogel. „Ich gehe zunächst von der emotionalen Situation, von der Familie aus, und entblättere dann den thematischen Hintergrund.“ Deswegen arbeitet der Regisseur auch mit langen Kameraeinstellungen. „Ich wollte den Menschen Raum geben. Man kann ihnen sozusagen beim Denken zusehen.“ Neben der persönlichen, emotionalen Ebene legt Vogel ein besonderes Augenmerk auf die politische Komponente: „Flo war als Odenwaldschüler Teil einer Freiheitssimulation in einem unfreien System“, betont er. „Diese Frage interessierte mich sehr: Wie entstehen solche Systeme und wie kann man sich davor schützen?“ Für Max Rose spielt die Auseinandersetzung mit Lindemanns Vergangenheit die größere Rolle. Die Arbeit am Film half ihm, seinen Vater besser zu verstehen. „Meine Sicht auf ihn hat sich nicht grundsätzlich verändert, es sind vielmehr neue Aspekte hinzugekommen“, sagt er. Und fügt hinzu: „Julians Film war ein wichtiger Schritt für mich. Ich konnte dadurch eine Art Abschluss finden.“
>> Filmvorführung und Gespräch: Mal Seh’n, Adlerflychtstraße 6, 1.–2.9., je 15.30 Uhr; am 2.9. in Anwesenheit von Regisseur Julian Vogel
1. September 2017, 11.37 Uhr
Isabella Caldart
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