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Dosch @ Berlinale 2017 – Teil 3
Viel Holz
Die 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin bieten ungeahnte Ein- und Aussichten. Denen unser Kino-Redakteur Andreas Dosch wie immer todesmutig nachgegangen ist.
Als akkreditierter Gast auf der Berlinale hat man so manches Privileg: Man bekommt zum Beispiel jedes Jahr eine neue Umhängetasche geschenkt. Ich lehne sie inzwischen ab, sehr zur Verblüffung des aushändigenden Personals („Wie, Sie wollen keine Tasche?“ - „Nee, hängt doch eh nur zuhause rum.“). Man wird mit Gratis-Wasser aus hässlichen Gallonen versorgt, aber dazu aufgefordert, sich das Trinkgefäß selbst mitzubringen. Man kann sich mit seinen Kollegen vor dem Kinoeingang kloppen, wenn man wegen des gewaltigen Andrangs zu spät kam und nicht mehr reingelassen wird. Man hat die Freiheit, namhaften Filmkünstlern auf Pressekonferenzen dumme Fragen zu stellen und mit anzusehen, wie diese mühsam um Fassung ringen. Und – darauf will ich eigentlich hinaus – man wird täglich mit aktuellen Presserezeugnissen zugeschmissen: für umme natürlich.
Das sind von den Branchenblättern „Variety“, „Hollywood Reporter“ und „Screen International“ extra auf die Bedürfnisse des vermeintlich domestizierten Festivalbesuchers zugeschnittene, durchaus hochwertig gemachte, circa 20 Seiten starke Magazine mit dem Neuesten rund ums Fest, Filmrezensionen, Bilder vom Roten Teppich und Firmenklatsch, wer wo wieder welchen Deal an Land gezogen hat. Zur Orientierung sind solche Hefte Gold wert, denn ein Verriss oder eine Lobeshymne an der richtigen Stelle kann einen schon mal zum Umdenken bzw. Umwerfen der persönlichen Programmplanung bewegen. Auf diese Weise kam ich zum Beispiel in den Genuss des sommerleichten Liebesdramas „Call Me By Your Name“, der Romanze zwischen einem heranwachsenden jüdischen Franko-Italiener und einem gut zehn Jahre älteren Amerikaner inmitten blühender norditalienischer Landschaft. Hätte ich nicht missen mögen, diesen Film. Auch wenn er einen Ticken zu lang war.
Überhaupt: Landschaften. Natur spielt eine prominente Rolle in der diesjährigen Berlinale-Auswahl. Da gibt es Dokus über Korea, Marokko, Tschiatura (Georgien), mediterrane Küstenstriche, über den indischen Loktak-See, die Sonora-Wüste zwischen Mexiko und den USA … man könnte meinen, auf einem Fremdenverkehrs-Festival gelandet zu sein. Oder auf einer Hirschparade: Die stattlichen Geweihträger traben in gleich mehreren Filmen durchs Bild, leider meistens zum Abschuss freigegeben. Nur von Joseph Beuys nicht, der hat sie zeichnerisch abstrakt zu Papier gebracht. Falls sich die Spezies Filmregisseur gerade auf einem Zurück-zur-Natur-Trip befinden sollte, was in einem Zeitalter von „Urban Angst“ nicht verwundert: Hier konnte man Tickets dafür erwerben. Einmal in die mythische „Lost City of Z“ inmitten des bolivischen Dschungels reisen? Das von Brad Pitt produzierte und von James Gray inszenierte Abenteuerepos macht's möglich. Allerdings ohne Rückfahrtkarte.
Wenn ich persönlich mal etwas Zeit zwischen zwei Vorführungen habe, dann flaniere ich gerne ein bisschen gedankenverloren durch den baumreichen Berliner Tiergarten, gleich in der Nachbarschaft des Potsdamer Platzes, um den plärrenden Rabenkrähen beim Aufpicken weggeworfener Taschentücher zuzusehen. Ein Stückchen Friede inmitten der pulsierenden Megacity ...
Aber noch mal zurück ins overcrowdete Festivalgeschehen und zu erwähnten kostenlosen Presseerzeugnissen: Beim neugierigen Durchblättern werden einem da auf den geschalteten Anzeigenseiten etliche abenteuerlichste Filmproduktionen aufs Auge gedrückt. Die laufen alle natürlich nicht im offiziellen Programm, sondern auf dem „European Film Market“, welcher, wie an dieser Stelle bereits oft erwähnt, zeitgleich zum offiziellen Festival stattfindet bzw. ein Teil davon ist.
Da preist man dann Erzeugnisse an wie etwa „Blood, Sand & Gold“. Auf dem Plakat sind harte Typen mit Kanonen im Anschlag abgebildet, explodierende Hubschrauber und so weiter. Die Hauptrollen spielen Aaron Costa Ganis, Monica West und Christopher Redmane. Hmmm. „A Film by Gaelan Connell“ – den Namen wird man sich merken müssen. Auch nicht übel: „The American Connection“ – „A Film by Jeff Espanol“. Mein absoluter Liebling 2017: „The Windmill“, was verdächtig nach Horror aussieht. Das Plakatmotiv ziert eine brennende Windmühle. Darüber der unvergessliche Slogan: „This isn't Hell. This is Holland“.
Überhaupt ist die Berlinale nicht mehr der alleinige Platzhirsch (da, schon wieder einer!) in diesen 10 kalten Februartagen. Längst haben sich Begleitveranstaltungen wie Pilotfische an den großen Brummer gehängt. Die AG Kino, die Gilde deutscher Filmkunsttheater, führt, während sich Andere noch vor den Pforten der Festivalkinos die Köpfe einhauen, ganz entspannt eine Woche lang Sachen aus dem kommenden Verleihprogramm vor. Schön, aber nicht der Öffentlichkeit, sondern nur einer internen Klientel zugänglich. Ähnlich die „Woche der Kritik“, veranstaltet vom Verband der Deutschen Filmkritik e.V.: Hier wird eine Selektion von natürlich nur entsprechend künstlerisch hochwertigen Filmen gezeigt.
Und danach dann: diskutiert! Uuuuh, das liebt man in solchen Kreisen. Diskutieren. Plakativ gesagt: Es handelt sich hierbei oftmals um Menschen, die Filme nicht danach beurteilen, was sie sind, sondern danach, was sie hätten sein sollen, sein müssen! Mir kam zu Ohren, dass jemand bei der aktuellen Eröffnungsdebatte dem letztjährigen (absolut verdienten) Berlinale-Gewinner, der vielschichtigen Lampedusa-Doku „Fuocoammare“ („Seefeuer“) vorwarf, er sei nicht politisch genug, weil der Film eine Situation ja nur abbilde, statt, keine Ahnung, einen gesellschaftsimmanenten Erkenntnisgewinn herbeizuführen – oder was auch immer. Das ist in etwa so, als würde man einen ausgewiesenen Landschaftsmaler dazu auffordern, doch bitte ein paar Hochhäuser oder zerquetschte Coladosen auf die Waldlichtung zu pinseln, weil: Naturzerstörung/Degeneration bla bla bla.
Da lobe ich mir doch meine kleinen Auszeiten im bewaldeten Tiergarten. Das dogmatische Echo verhallt unsanft im Krähen der Raben. Hey: Vielleicht sollte ich demnächst mal die Kamera mitnehmen und eine Doku davon drehen? Wahnsinnsidee! Einen Titel hab' ich auch schon: „Unter Geiern – Zweiter Teil“ (der Zusatz soll künstlerisch hochwertig klingen, so Fassbinder-mäßig). Und nächstes Jahr, da läuft der Film dann im Festivalprogramm. Der Teaser? „This isn't Birdwatch. This is Berlinale!“
>> Der Berlinale Blog
Das sind von den Branchenblättern „Variety“, „Hollywood Reporter“ und „Screen International“ extra auf die Bedürfnisse des vermeintlich domestizierten Festivalbesuchers zugeschnittene, durchaus hochwertig gemachte, circa 20 Seiten starke Magazine mit dem Neuesten rund ums Fest, Filmrezensionen, Bilder vom Roten Teppich und Firmenklatsch, wer wo wieder welchen Deal an Land gezogen hat. Zur Orientierung sind solche Hefte Gold wert, denn ein Verriss oder eine Lobeshymne an der richtigen Stelle kann einen schon mal zum Umdenken bzw. Umwerfen der persönlichen Programmplanung bewegen. Auf diese Weise kam ich zum Beispiel in den Genuss des sommerleichten Liebesdramas „Call Me By Your Name“, der Romanze zwischen einem heranwachsenden jüdischen Franko-Italiener und einem gut zehn Jahre älteren Amerikaner inmitten blühender norditalienischer Landschaft. Hätte ich nicht missen mögen, diesen Film. Auch wenn er einen Ticken zu lang war.
Überhaupt: Landschaften. Natur spielt eine prominente Rolle in der diesjährigen Berlinale-Auswahl. Da gibt es Dokus über Korea, Marokko, Tschiatura (Georgien), mediterrane Küstenstriche, über den indischen Loktak-See, die Sonora-Wüste zwischen Mexiko und den USA … man könnte meinen, auf einem Fremdenverkehrs-Festival gelandet zu sein. Oder auf einer Hirschparade: Die stattlichen Geweihträger traben in gleich mehreren Filmen durchs Bild, leider meistens zum Abschuss freigegeben. Nur von Joseph Beuys nicht, der hat sie zeichnerisch abstrakt zu Papier gebracht. Falls sich die Spezies Filmregisseur gerade auf einem Zurück-zur-Natur-Trip befinden sollte, was in einem Zeitalter von „Urban Angst“ nicht verwundert: Hier konnte man Tickets dafür erwerben. Einmal in die mythische „Lost City of Z“ inmitten des bolivischen Dschungels reisen? Das von Brad Pitt produzierte und von James Gray inszenierte Abenteuerepos macht's möglich. Allerdings ohne Rückfahrtkarte.
Wenn ich persönlich mal etwas Zeit zwischen zwei Vorführungen habe, dann flaniere ich gerne ein bisschen gedankenverloren durch den baumreichen Berliner Tiergarten, gleich in der Nachbarschaft des Potsdamer Platzes, um den plärrenden Rabenkrähen beim Aufpicken weggeworfener Taschentücher zuzusehen. Ein Stückchen Friede inmitten der pulsierenden Megacity ...
Aber noch mal zurück ins overcrowdete Festivalgeschehen und zu erwähnten kostenlosen Presseerzeugnissen: Beim neugierigen Durchblättern werden einem da auf den geschalteten Anzeigenseiten etliche abenteuerlichste Filmproduktionen aufs Auge gedrückt. Die laufen alle natürlich nicht im offiziellen Programm, sondern auf dem „European Film Market“, welcher, wie an dieser Stelle bereits oft erwähnt, zeitgleich zum offiziellen Festival stattfindet bzw. ein Teil davon ist.
Da preist man dann Erzeugnisse an wie etwa „Blood, Sand & Gold“. Auf dem Plakat sind harte Typen mit Kanonen im Anschlag abgebildet, explodierende Hubschrauber und so weiter. Die Hauptrollen spielen Aaron Costa Ganis, Monica West und Christopher Redmane. Hmmm. „A Film by Gaelan Connell“ – den Namen wird man sich merken müssen. Auch nicht übel: „The American Connection“ – „A Film by Jeff Espanol“. Mein absoluter Liebling 2017: „The Windmill“, was verdächtig nach Horror aussieht. Das Plakatmotiv ziert eine brennende Windmühle. Darüber der unvergessliche Slogan: „This isn't Hell. This is Holland“.
Überhaupt ist die Berlinale nicht mehr der alleinige Platzhirsch (da, schon wieder einer!) in diesen 10 kalten Februartagen. Längst haben sich Begleitveranstaltungen wie Pilotfische an den großen Brummer gehängt. Die AG Kino, die Gilde deutscher Filmkunsttheater, führt, während sich Andere noch vor den Pforten der Festivalkinos die Köpfe einhauen, ganz entspannt eine Woche lang Sachen aus dem kommenden Verleihprogramm vor. Schön, aber nicht der Öffentlichkeit, sondern nur einer internen Klientel zugänglich. Ähnlich die „Woche der Kritik“, veranstaltet vom Verband der Deutschen Filmkritik e.V.: Hier wird eine Selektion von natürlich nur entsprechend künstlerisch hochwertigen Filmen gezeigt.
Und danach dann: diskutiert! Uuuuh, das liebt man in solchen Kreisen. Diskutieren. Plakativ gesagt: Es handelt sich hierbei oftmals um Menschen, die Filme nicht danach beurteilen, was sie sind, sondern danach, was sie hätten sein sollen, sein müssen! Mir kam zu Ohren, dass jemand bei der aktuellen Eröffnungsdebatte dem letztjährigen (absolut verdienten) Berlinale-Gewinner, der vielschichtigen Lampedusa-Doku „Fuocoammare“ („Seefeuer“) vorwarf, er sei nicht politisch genug, weil der Film eine Situation ja nur abbilde, statt, keine Ahnung, einen gesellschaftsimmanenten Erkenntnisgewinn herbeizuführen – oder was auch immer. Das ist in etwa so, als würde man einen ausgewiesenen Landschaftsmaler dazu auffordern, doch bitte ein paar Hochhäuser oder zerquetschte Coladosen auf die Waldlichtung zu pinseln, weil: Naturzerstörung/Degeneration bla bla bla.
Da lobe ich mir doch meine kleinen Auszeiten im bewaldeten Tiergarten. Das dogmatische Echo verhallt unsanft im Krähen der Raben. Hey: Vielleicht sollte ich demnächst mal die Kamera mitnehmen und eine Doku davon drehen? Wahnsinnsidee! Einen Titel hab' ich auch schon: „Unter Geiern – Zweiter Teil“ (der Zusatz soll künstlerisch hochwertig klingen, so Fassbinder-mäßig). Und nächstes Jahr, da läuft der Film dann im Festivalprogramm. Der Teaser? „This isn't Birdwatch. This is Berlinale!“
>> Der Berlinale Blog
15. Februar 2017, 08.25 Uhr
Andreas Dosch
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Mit dem Käfer auf der Flucht aus der DDR
Das Historische Museum Frankfurt zeigt im Rahmen der Reihe „Zeitzeugenschaft? Ein Erinnerungslabor“ die Geschichte von drei Frauen in der DDR. Die Ausstellung startet am 30. Oktober in der „Bibliothek der Generationen“.
Text: Lukas Mezler / Foto: Der Käfer als Fluchtauto © Steffi Barthel
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