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Foto: Nathalie Djurberg & Hans Berg / VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Foto: Nathalie Djurberg & Hans Berg / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Djurberg und Berg in der Schirn Kunsthalle

Stehen Sie auf Knetmännchen-Snuff-Filme?

Grell, laut, grotesk: In der Schirn Kunsthalle eröffnet heute die Ausstellung „Djurberg & Berg“. Die Schau bringt die gesamte Perversion der menschlichen Existenz zum Vorschein – und ist ein ganz klares Must-see.
Man braucht ein paar Minuten, um sich in der Ausstellung „Djurberg & Berg“ in der Schirn Kunsthalle zurechtzufinden. Die Schau ist bunt, sie ist laut, sie ist verstörend – und sie ist derart fesselnd, dass man Augen und Ohren kaum abwenden kann von all den Skulpturen, Filmen und Klängen, die einen erwarten. Es ist das erste Mal, dass das Werk des schwedischen Künstlerpaars Nathalie Djurberg und Hans Berg derart umfassend in Deutschland gezeigt wird. Dass die Schirn Kunsthalle dieses Versäumnis nun nachholt, ist ein großes Glück und eine echte Bereicherung für Frankfurt.

Nathalie Djurberg und Hans Berg sind einem breiteren Publikum vermutlich vor allem durch die Stop-Motion-Filme bekannt, in denen skurrile Knetfiguren im Mittelpunkt stehen. Während Djurberg die Filme erstellt, unterlegt Hans Berg diese im Nachhinein mit Musik. In der Ausstellung läuft man zunächst jedoch geradewegs in eine Parade bunter Vögel. Truthähne, Pelikane und allerlei anderes Gefieder stehen dicht gedrängt, sie scheinen gemeinsam in eine Richtung zu marschieren. „The Parade“ sieht auf den ersten Blick sehr hübsch aus, geradezu lieblich. In Kombination mit den angenehm hypnotischen Klängen, die aus jedem Winkel drängen, fühlt man sich wie in einer netten Dschungelbuch-Szene – bis man genauer hinblickt. Die Vögel hacken teilweise aufeinander ein, ringen sich gegenseitig zu Boden, ihre schon fast menschlichen Züge sind in einer Mischung aus Aggression und Panik verzerrt.

Und auch die Filme, die quer in der Schau verteilt ablaufen, sind derart verstörend, dass man kurz den Impuls verspüren kann, gleich wieder auf dem Absatz kehrtzumachen. Man muss sich daran erinnern, dass dieses Horror-Märchen, in dem man gerade gelandet ist, nicht real ist und die Knetmännchen, die ringsherum in alptraumhaften Szenen die abstoßendsten Dinge durchleben, einem nichts anhaben können. Die Knetmännchen-Snuff-Filme fühlen sich auf jeder nur denkbaren Ebene falsch an: Lüsterne, alte Männer missbrauchen und zerfleischen wehrlose Frauenkörper, ein anderer Frauenkörper verselbstständigt sich scheinbar gegen den Willen des Geistes und zerlegt sich selbst, eine Mutter, nackt auf einem Bett liegend, muss fürchterliche Qualen erleiden, als ihre Kinder wieder zurück in den Mutterleib drängen. Freuds Theorie von der Rückkehr in den pränatalen Zustand als Ausdruck des Todestriebs wird zur animierten Wirklichkeit. Und auch die Besucherinnen und Besucher kriechen durch unbekanntes Terrain, durchdringen urzeitliche Höhlen und wandern durch groteske Wälder. Wir erleben die Sichtbarmachung unserer innersten Abgründe, das Hervorholen tief im Unterbewussten schlummernder Ängste, Gelüste und Perversionen. Djurberg und Berg kehren all das nach Außen, was wir nicht sehen wollen, was aber doch in der menschlichen Natur, in all ihrer Verdorbenheit, zu finden ist.

Wir kennen sicher alle diese Träume, die bizarr, aber doch märchenhaft beginnen. Man findet sich in einer absurden Phantasie-Welt wieder, einer mystischen Zauberlandschaft. Doch dann schlägt die Stimmung plötzlich um, das Zauberhafte wird düster, bedrohlich – der Traum wandelt sich zum Alptraum. So in etwa fühlt sich der Besuch der Ausstellung in der Schirn an. „A journey through mud and confusion with a small glimpse of air“ lautet der volle Titel der Schau – treffender könnte man das Erlebnis wohl kaum beschreiben. Die Ausstellung bewegt sich konsequent zwischen Überforderung und Herausforderung, Empörung und Faszination – und gerade darin liegt ihr großer Verdienst.

„Djurberg & Berg“ hat nichts gemein mit den immer gleichen, uninspirierten und zum Gähnen langweiligen Selbstbeweihräucherungen, die heutzutage so charakteristisch sind für gefühlt jeden zweiten Gegenwartskünstler. Noch dazu sind die Werke des Künstlerpaares handwerklich unfassbar gut gemacht. Auch das ist (leider) keine Selbstverständlichkeit. Das hier ist echte Kunst, die zum Reflektieren und Diskutieren nicht nur einlädt, sondern die Besucher regelrecht dazu zwingt. Das hier ist Kunst, die der Welt den Spiegel vorhält und sie nötigt, in diesen Spiegel hineinzuschauen, solange, bis die Augen tränen und der Wunsch, sich abzuwenden, übermächtig wird. Doch wer es schafft, die Augen offenzuhalten, wird belohnt: Mit der faszinierendsten und auf absurde Art auch schönsten Ausstellung, die derzeit in der Region zu sehen ist.




Nathalie Djurberg & Hans Berg, One Need Not Be a House, The Brain Has Corridors, 2018, Stop motion animation, 8:18 Min., © Nathalie Djurberg & Hans Berg / VG Bild-Kunst, Bonn 2018




NATHALIE DJURBERG & HANS BERG. A JOURNEY THROUGH MUD AND CONFUSION WITH SMALL GLIMPSES OF AIR, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2019, Foto: Norbert Miguletz

>>„Djurberg & Berg. A journey through mud and confusion with a small glimpse of air“, Schirn Kunsthalle, bis 26. Mai 2019
 
28. Februar 2019, 11.33 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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