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Frankfurter ÖPNV
Regionaltangente West: „Stuttgart 21 lässt grüßen“
Der Bau der Regionaltangente West um Frankfurt stockt derzeit. Das JOURNAL sprach mit dem Eisenbahnexperten Georg Speck über den Nutzen der RTW – und die Intransparenz der Verantwortlichen.
JOURNAL: Herr Speck, die Deutsche Bahn hat Vorarbeiten für die Regionaltangente West in Frankfurt-Höchst gestoppt. Was steckt dahinter?
Georg Speck: Ich selbst habe keine Insiderkenntnisse aus der DB InfraGO, dem Eisenbahn-Bundesamt und der RTW-Planungsgesellschaft. Fakt ist, dass dem Baustopp die unangekündigte Einstellung des Zugbetriebs zwischen Bad Soden und Höchst am Karfreitag vorausging. Anstatt einer Fahrzeit von 9 Minuten mit der Bahn war dem Fahrplan der Ersatzbusse eine Fahrzeit von 38 Minuten zu entnehmen. Das brachte Politik und Öffentlichkeit vor Ort auf und hat sensibilisiert.
Wie sieht der Fall rechtlich aus?
Aus meiner rechtlichen Sicht ist ein solch gravierender Eingriff ohne Baurecht nicht zulässig. Der Planfeststellungsbeschluss liegt noch nicht vor und wird von der RTW-Planungsgesellschaft noch im Sommer erwartet. Daneben verlangt die Bahn für Bauarbeiten an ihren Anlagen die Einhaltung ihrer technischen und organisatorischen Richtlinien. Diesen haben die Planungen der Planungsgesellschaft offenbar nicht entsprochen. Der Geschäftsführer der Planungsgesellschaft, Horst Amann, hat die Mängel indirekt zugegeben, indem er auf fehlende Fachkräfte verwiesen hat.
Viele Probleme bei Planung und Bau der Regionaltangente West um Frankfurt
Wo liegen die Defizite?
Die Bahn benötigt unbedingt verlässliche Termine für die Arbeiten im Bahnhof Höchst, weil aufgrund der Generalsanierung der Riedbahn im Sommer zusätzliche Züge über Höchst geführt werden sollen. Je länger die Planfeststellung auf sich warten lässt, desto kleiner wird das Zeitfenster für die Arbeiten.
Welchen Nutzen soll die Tangente überhaupt bringen?
Ring- oder Tangentialbahnen sollen die in den Zentren meist stark belasteten Abschnitte radialer Strecken entlasten. In Frankfurt ist das insbesondere der City-Tunnel der S-Bahn mit dem Hauptbahnhof. Dass dies mit der RTW wirksam gelingt, ist zu bezweifeln. Denn dazu müsste die Reisezeit mit der RTW deutlich kürzer sein als mit bestehenden Angeboten. Das ist nur in Teilen der Fall. Wer aus dem Einzugsgebiet der RTW heute zum Beispiel zum Flughafen möchte, fährt nicht durch den City-Tunnel.
Und sonst?
Bei Tangenten braucht es weiter Verknüpfungsbahnhöfe, an denen schnell umgestiegen werden kann. Das wird aber zwischen RTW und einer Südtangente nicht möglich sein, da von den beiden RTW-Linien nur eine an dem dafür in Betracht kommenden Bahnhof Stadion halten soll. Außerdem ist fraglich, ob eine Südtangente überhaupt einen Halt im Bahnhof Stadion erhalten wird.
Entlastung für S-Bahn-Verkehr durch RTW? „Dieses Argument scheint mir vorgeschoben“
Sie kritisieren das Projekt als „nicht zeitgemäß“. Warum?
Zu einem attraktiven Regionalverkehr braucht es heute attraktive Platzverhältnisse in den Fahrzeugen und einladende, gut gestaltete Stationen. Das wird die RTW aus Kostengründen nicht bieten. Weiter werden die Eisenbahninfrastrukturen im Südabschnitt 1 von leistungsfähigeren Eisenbahnzügen wie S-Bahn und Regionalbahn bei der politisch angestrebten Verdoppelung des Schienenverkehrs dringender benötigt.
Die RTW kann wegen dreier unterschiedlicher Bahnsteighöhen die heutigen Anforderungen an die Barrierefreiheit nicht erfüllen. Und schließlich ist die Entlastung von Eisenbahninfrastrukturen des Bundes durch neue Schienenwege spätestens seit der Bahnreform keine kommunale Aufgabe. Eine RTW müsste zusammen mit einer Süd- und Osttangente im Eisenbahnsystem ausgeführt werden. Dazu wäre dann in Teilen eine andere Streckenführung nötig.
Es heißt, der S-Bahn-Verkehr würde entlastet. Wie ordnen Sie dieses Argument ein?
Dieses Argument scheint mir vorgeschoben. Dazu wären zunächst andere Maßnahmen besser geeignet, z.B. schnellere und geordnete Zugabfertigung in den Stationen der Tunnelstrecke, bessere Umsteigebedingungen im Hauptbahnhof, mehr Langzüge, digitales Signalsystem.
Speck über RTW: „Zahlen werden beharrlich verweigert“
Die Kosten sollen steigen – zahlen müsste als Gesellschafterin auch die Stadt Frankfurt … Ein Loch ohne Boden?
Stuttgart 21 lässt grüßen. Aktuelle Zahlen werden beharrlich verweigert, jedenfalls gegenüber der Öffentlichkeit. Das Land Hessen ist übrigens laut Gesellschaftervertrag von der Nachschusspflicht ausgenommen. Offenbar ist auch das Polster von 20 Prozent, das im Jahr 2019 mitgeteilt wurde, aufgebraucht.
Das Projekt wird vor allem von Umweltverbänden kritisiert. Wieso gab es kaum großen öffentlichen Widerstand gegen die Abholzungen für die Tangente?
Das ist ganz einfach: Schiene ist gut, Straße nicht. Offenbar wird geglaubt, dass die Verlagerungen von der Straße auf die Schiene mit der einhergehenden CO2-Minderung die Eingriffe in die Natur überkompensieren. Welche Annahmen betreffend eine künftige E-Mobilität getroffen wurden, lässt sich mangels Veröffentlichung der Nutzen-Kosten-Rechnung nicht nachprüfen. Schon kurzfristig würde Verkehrsvermeidung und Geschwindigkeitsbegrenzung helfen.
Info
Georg Speck, geboren 1952 in Frankfurt am Main, studierte Bauingenieurwesen mit der Vertiefungsrichtung Verkehrsplanung und Verkehrstechnik. 1979 begann er ein Referendariat bei der Deutschen Bundesbahn. Danach leitete er 1981/1982 den Frankfurter Westbahnhof, bevor er als stellvertretender Amtsvorstand des Neubauamtes Ffm 4 zwei Baulose der Frankfurter S-Bahn betreute. Zwischen 1983 und 1988 war Speck als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Fachgebiet Eisenbahnwesen der THD, dort entstand sein Vorschlag eines Fernbahntunnels für Frankfurt. Er promovierte in dieser Zeit über die Leistungsfähigkeit von Ablaufanlagen in Rangierbahnhöfen zum Doktor-Ingenieur. 1988 kehrte er zur Bundesbahn zurück. Er wirkte als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Organisation und Datenverarbeitung in der DB-Hauptverwaltung und wechselte 1991 zum Ministerium für Wirtschaft und Verkehr des Landes Rheinland-Pfalz, wo er bis zu seiner Pensionierung 2018 das Eisenbahnreferat leitete.
Georg Speck 2022 © Eibe Sönnecken
Georg Speck: Ich selbst habe keine Insiderkenntnisse aus der DB InfraGO, dem Eisenbahn-Bundesamt und der RTW-Planungsgesellschaft. Fakt ist, dass dem Baustopp die unangekündigte Einstellung des Zugbetriebs zwischen Bad Soden und Höchst am Karfreitag vorausging. Anstatt einer Fahrzeit von 9 Minuten mit der Bahn war dem Fahrplan der Ersatzbusse eine Fahrzeit von 38 Minuten zu entnehmen. Das brachte Politik und Öffentlichkeit vor Ort auf und hat sensibilisiert.
Wie sieht der Fall rechtlich aus?
Aus meiner rechtlichen Sicht ist ein solch gravierender Eingriff ohne Baurecht nicht zulässig. Der Planfeststellungsbeschluss liegt noch nicht vor und wird von der RTW-Planungsgesellschaft noch im Sommer erwartet. Daneben verlangt die Bahn für Bauarbeiten an ihren Anlagen die Einhaltung ihrer technischen und organisatorischen Richtlinien. Diesen haben die Planungen der Planungsgesellschaft offenbar nicht entsprochen. Der Geschäftsführer der Planungsgesellschaft, Horst Amann, hat die Mängel indirekt zugegeben, indem er auf fehlende Fachkräfte verwiesen hat.
Wo liegen die Defizite?
Die Bahn benötigt unbedingt verlässliche Termine für die Arbeiten im Bahnhof Höchst, weil aufgrund der Generalsanierung der Riedbahn im Sommer zusätzliche Züge über Höchst geführt werden sollen. Je länger die Planfeststellung auf sich warten lässt, desto kleiner wird das Zeitfenster für die Arbeiten.
Welchen Nutzen soll die Tangente überhaupt bringen?
Ring- oder Tangentialbahnen sollen die in den Zentren meist stark belasteten Abschnitte radialer Strecken entlasten. In Frankfurt ist das insbesondere der City-Tunnel der S-Bahn mit dem Hauptbahnhof. Dass dies mit der RTW wirksam gelingt, ist zu bezweifeln. Denn dazu müsste die Reisezeit mit der RTW deutlich kürzer sein als mit bestehenden Angeboten. Das ist nur in Teilen der Fall. Wer aus dem Einzugsgebiet der RTW heute zum Beispiel zum Flughafen möchte, fährt nicht durch den City-Tunnel.
Und sonst?
Bei Tangenten braucht es weiter Verknüpfungsbahnhöfe, an denen schnell umgestiegen werden kann. Das wird aber zwischen RTW und einer Südtangente nicht möglich sein, da von den beiden RTW-Linien nur eine an dem dafür in Betracht kommenden Bahnhof Stadion halten soll. Außerdem ist fraglich, ob eine Südtangente überhaupt einen Halt im Bahnhof Stadion erhalten wird.
Sie kritisieren das Projekt als „nicht zeitgemäß“. Warum?
Zu einem attraktiven Regionalverkehr braucht es heute attraktive Platzverhältnisse in den Fahrzeugen und einladende, gut gestaltete Stationen. Das wird die RTW aus Kostengründen nicht bieten. Weiter werden die Eisenbahninfrastrukturen im Südabschnitt 1 von leistungsfähigeren Eisenbahnzügen wie S-Bahn und Regionalbahn bei der politisch angestrebten Verdoppelung des Schienenverkehrs dringender benötigt.
Die RTW kann wegen dreier unterschiedlicher Bahnsteighöhen die heutigen Anforderungen an die Barrierefreiheit nicht erfüllen. Und schließlich ist die Entlastung von Eisenbahninfrastrukturen des Bundes durch neue Schienenwege spätestens seit der Bahnreform keine kommunale Aufgabe. Eine RTW müsste zusammen mit einer Süd- und Osttangente im Eisenbahnsystem ausgeführt werden. Dazu wäre dann in Teilen eine andere Streckenführung nötig.
Es heißt, der S-Bahn-Verkehr würde entlastet. Wie ordnen Sie dieses Argument ein?
Dieses Argument scheint mir vorgeschoben. Dazu wären zunächst andere Maßnahmen besser geeignet, z.B. schnellere und geordnete Zugabfertigung in den Stationen der Tunnelstrecke, bessere Umsteigebedingungen im Hauptbahnhof, mehr Langzüge, digitales Signalsystem.
Die Kosten sollen steigen – zahlen müsste als Gesellschafterin auch die Stadt Frankfurt … Ein Loch ohne Boden?
Stuttgart 21 lässt grüßen. Aktuelle Zahlen werden beharrlich verweigert, jedenfalls gegenüber der Öffentlichkeit. Das Land Hessen ist übrigens laut Gesellschaftervertrag von der Nachschusspflicht ausgenommen. Offenbar ist auch das Polster von 20 Prozent, das im Jahr 2019 mitgeteilt wurde, aufgebraucht.
Das Projekt wird vor allem von Umweltverbänden kritisiert. Wieso gab es kaum großen öffentlichen Widerstand gegen die Abholzungen für die Tangente?
Das ist ganz einfach: Schiene ist gut, Straße nicht. Offenbar wird geglaubt, dass die Verlagerungen von der Straße auf die Schiene mit der einhergehenden CO2-Minderung die Eingriffe in die Natur überkompensieren. Welche Annahmen betreffend eine künftige E-Mobilität getroffen wurden, lässt sich mangels Veröffentlichung der Nutzen-Kosten-Rechnung nicht nachprüfen. Schon kurzfristig würde Verkehrsvermeidung und Geschwindigkeitsbegrenzung helfen.
Georg Speck, geboren 1952 in Frankfurt am Main, studierte Bauingenieurwesen mit der Vertiefungsrichtung Verkehrsplanung und Verkehrstechnik. 1979 begann er ein Referendariat bei der Deutschen Bundesbahn. Danach leitete er 1981/1982 den Frankfurter Westbahnhof, bevor er als stellvertretender Amtsvorstand des Neubauamtes Ffm 4 zwei Baulose der Frankfurter S-Bahn betreute. Zwischen 1983 und 1988 war Speck als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Fachgebiet Eisenbahnwesen der THD, dort entstand sein Vorschlag eines Fernbahntunnels für Frankfurt. Er promovierte in dieser Zeit über die Leistungsfähigkeit von Ablaufanlagen in Rangierbahnhöfen zum Doktor-Ingenieur. 1988 kehrte er zur Bundesbahn zurück. Er wirkte als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Organisation und Datenverarbeitung in der DB-Hauptverwaltung und wechselte 1991 zum Ministerium für Wirtschaft und Verkehr des Landes Rheinland-Pfalz, wo er bis zu seiner Pensionierung 2018 das Eisenbahnreferat leitete.
Georg Speck 2022 © Eibe Sönnecken
23. April 2024, 15.00 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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23. Dezember 2024
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