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Foto: © Sandra Schildwaechter
Foto: © Sandra Schildwaechter

Krieg in der Ukraine

Den ukrainischen Geflüchteten ein Gesicht geben

Am 24. Februar jährt sich der Überfall Russlands auf die Ukraine. Viele Menschen haben seitdem Zuflucht in Deutschland gefunden. Sandra Schildwächter hat ukrainische Geflüchtete in ihrer neuen Umgebung fotografiert.
JOURNAL FRANKFURT: Frau Schildwächter, für Ihre Serie „Should I stay or should I go?“ haben Sie Geflüchtete aus der Ukraine fotografiert. Erklären Sie uns, mit welchem Ansatz Sie an das Projekt herangegangen sind.
Sandra Schildwächter: Schockierende Bilder der zerstörten Ukraine begegneten uns, als ich mein Fotoprojekt im vergangenen Sommer 2022 startete, schon mehrere Monate in den Nachrichten. Ich war interessiert an der aktuellen Lebenssituation ukrainischer Geflüchteter in Deutschland. Die Themen Identität und Verlust, Integration, Geborgenheit, Übergangslösungen, Neubeginn und der Unterschied zwischen Unterkunft und Zuhause haben mich motiviert, das Fotoprojekt anzustoßen.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Ich recherchierte Protagonisten unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Lebenssituationen, zum Beispiel eine Mutter mit Kindern, eine alleinstehende Person, eine Seniorin usw. Ich habe 14 ukrainische Flüchtlingshaushalte in Deutschland kennengelernt und besuchte sie in ihren verschiedenen Unterkünften, wie Klöstern, Jugendherbergen, Unterkünften für Geflüchtete, bei Familien und Freunden, in Privatwohnungen oder Wohngemeinschaften. Ich habe ihre aktuelle Situation fotografisch dokumentiert und einen Eindruck bekommen, was ihre derzeitige Unterkunft für sie bedeutet und, was es für sie bedeutete, vor der schwierigen Entscheidung zu stehen, in ihrer Heimat zu bleiben oder diese zu verlassen. Ich wollte mithilfe der Interviews einen Einblick in die Erfahrungen der letzten Monate geben und starke Porträts erschaffen. In meiner Fotoserie habe ich die Protagonisten mit offenem Blick in die Kamera dokumentiert, um eine direkte Begegnung zwischen den Protagonisten und dem Betrachter zu schaffen.

Sie haben die Menschen in Ihren Unterkünften besucht. Wie haben Sie diese erlebt?
Ich habe die Menschen in verschiedenen Stimmungen erlebt: von sprachlos, traumatisiert, deprimiert, emotional bis hin zu zuversichtlich und motiviert für einen Neuanfang. Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben ihr Zuhause aufgrund des Krieges verloren. Sie sind schockiert über die Verwüstung in ihrem Land. Sie sind angespannt, in Alarmbereitschaft, stehen in Kontakt mit Freunden und Familienangehörigen in der Ukraine. Ihre Zukunft ist ungewiss. Es fällt ihnen nicht leicht, nach nun einem Jahr des Grauens positiv zu denken. Auch wenn sich die Lage in der Ukraine verbessern könnte, gibt es in ihren Häusern oder Wohnungen, wenn diese noch bewohnbar sind, keinen Strom, keine Heizung – es gibt keine oder großteils zerstörte Infrastruktur. Einige haben Pläne, in Deutschland einen Neuanfang zu machen. Ich habe die geflüchteten Ukrainer*innen als gastfreundlich und offen erlebt. Von allen Menschen, die ich kennengelernt habe, kann ich sagen, dass sie sehr dankbar sind, in Deutschland untergekommen zu sein und sich über die Hilfe, die sie von vielen Seiten erhalten haben, bedanken. Viele äußerten, Deutschland etwas zurückgeben zu wollen.

Wie nähert man sich traumatisierten Menschen mit der Kamera, ohne es voyeuristisch erscheinen zu lassen?
Wichtig ist mir, dass die Leute Vertrauen zu mir aufbauen können. Ich spreche mit den Menschen bevor ich sie fotografiere, erkläre mein Vorhaben mit den Bildern, schaffe Transparenz und nehme mir Zeit. Ich möchte den Menschen auf Augenhöhe begegnen und ihnen respektvoll gegenübertreten. Kommunikation ist hierfür essentiell. Ich arbeitete deshalb auch immer mit Übersetzer*innen zusammen. Ich handele im Sinne der Ukrainer*innen, denen es viel bedeutet, dass ihre aktuelle Situation und ihre Schicksale in der Öffentlichkeit publik gemacht werden.

Ihre Protagonistinnen und Protagonisten versuchen sich hier ein neues temporäres Zuhause aufzubauen – in der englischen Sprache gibt es dazu eine schöne Umschreibung: a home away from home. Was bedeutet für Sie persönlich der Begriff Heimat? Hat sich Ihre Perspektive auf Heimat/der Begriff Heimat durch das Projekt geändert?
Eine der Ukrainerinnen, die ich porträtiert und interviewt habe, sagte: „Heimat ist für mich der Ort, an dem meine Familie und meine liebsten Menschen sind.“ Dem stimme ich zu. Für viele ist Heimat ein emotionaler Ort, ein Ort der Geborgenheit. Viele sind ganz klar regional mit ihrer Heimat verbunden. Ich würde sagen, bei mir ist es eine Mischung. Während meines Fotoprojekts wurde mir vor Augen geführt, die Nähe zu Freunden und Familie, die eigenen vier Wände und die Sicherheit im eigenen Land besonders wertzuschätzen und dafür dankbar zu sein.

Ihre Fotografien sind derzeit im US-Generalkonsulat Frankfurt zu sehen. Wie politisch wollen Sie mit Ihrem Projekt sein?
Meine Fotografien sollen den ukrainischen Geflüchteten in Deutschland ein Gesicht geben und auf die aktuelle Situation aufmerksam machen. Mein Ziel ist es, mit meiner Arbeit einen Beitrag zur Integration und Inklusion zu leisten. Meine Arbeit soll ein Beispiel für Toleranz und Solidarität sein, für Nächstenliebe und humanitäre Hilfe. Der Fokus liegt darauf, das Bewusstsein für die gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen von geflüchteten Menschen zu schärfen, die zwischen Übergangslösungen, Identitätsfragen und Verlust versuchen, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen.

Der Projekttitel beschreibt den Zwiespalt, in dem sich die Geflüchteten befinden. Können Sie sagen, wieviele der Menschen wieder zurück wollen?
Der Projekttitel „Should I stay or should I go?“ befasst sich sowohl mit der schwierigen Entscheidung, vor der ukrainische Geflüchtete standen, in ihrer Heimat zu bleiben oder diese verlassen zu müssen, als auch den Zwiespalt, wieder in die Ukraine zurückkehren zu wollen. Die Mehrheit der Ukrainer*innen äußerte mir gegenüber, dass sie so lange in Deutschland bleiben, bis der Krieg zu Ende ist. Sie machen sich außerdem Sorgen, dass es keine Perspektiven und keine Arbeit in ihrem Heimatland gibt. Ein kleinerer Teil plant, zukünftig in Deutschland zu bleiben und hier einen kompletten Neuanfang zu beginnen. Das ist ganz abhängig davon, wie schwer das Zuhause der jeweiligen Menschen zerstört wurde. Viele sind noch unentschlossen und warten weitere Entwicklungen ab.

Ihre Fotografien werden momentan im US-Generalkonsulat ausgestellt, allerdings nicht öffentlich. Wo werden Ihre Fotografien demnächst zu sehen sein?
Im Fotografie Forum Frankfurt werde ich am 22. März um 18 Uhr einen Vortrag halten, in dem ich unter anderem auf mein Projekt über ukrainische Geflüchtete eingehen werde. Über weitere Ausstellungsplanungen kann ich derzeit noch keine weiteren Details bekanntgeben.

Wird Ihr Projekt fortgesetzt?
Ich plane das Thema weiterhin in Magazinen und der Öffentlichkeit zu platzieren und würde mich freuen, wenn mein Projekt auch im Rahmen von Beauftragungen weitergeführt werden kann.

Zur Person: Sandra Schildwächter, geboren 1992, lebt und arbeitet als freiberufliche Fotografin bei Frankfurt am Main, Deutschland. 2017 hat sie ihr Kommunikationsdesign-Studium mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule Darmstadt abgeschlossen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Reportage-, Landschafts- und Porträtfotografie sowie kulturellen und sozialen Themen. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen Magazinen und Zeitungen veröffentlicht worden.

>> Am Mittwoch, 22. März, wird sie im Fotografie Forum Frankfurt, Braubachstraße, einen Vortrag halten. Beginn: 18 Uhr, weitere Infos dazu gibt es hier.
 
22. Februar 2023, 10.15 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
Fotogalerie:
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