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Dany, Joschka und Stéphane

Empörung im Schauspiel Frankfurt (4/4)

Am 15. Mai 2011 sprachen im Schauspiel Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer und Stéphane Hessel ("Empört Euch!") miteinander. Das Journal Frankfurt dokumentiert das Gespräch in ganzer Länge. Teil 4.
Daniel Cohn-Bendit: Stéphane, welche Reform der Uno ist möglich auf Grund deiner Erfahrungen und wie kann Deine Empörung helfen, sie auch zu ermöglichen?

Stéphane Hessel: Natürlich wäre es viel besser wenn der Sicherheitsrat 15 oder 20 ständige Mitglieder hätte, dann würden die Brasilianer, die Inder und die Südafrikaner hereinkommen und dann müsste das Vetorecht geändert werden, sodass nicht eine einzelne Stimme für ein Veto reicht. Das ist alles möglich und der Druck von Seiten von Länder wie den Brics wird vielleicht etwas verändern.
Doch für mich wäre wichtiger, wenn wir in der Uno endlich einen Sicherheitsrat für Soziales und Wirtschaft hätten. Es gibt nur die G8 oder die G20, aber die besitzen keine Legitimität. Das sind Staaten, die zusammengekommen sind, weil sie zusammenkommen wollten. Eine Wertecharta aber haben sie nicht hinter sich.
Wir brauchen einen Sicherheits-Wirtschaftsrat, der bestimmt wie man die Weltwirtschaft organisiert. Es gibt allerlei Institutionen, die um die Uno herum arbeiten, aber keine, die über allen steht. Die Welthandelsorganisation arbeitet allein, die Weltbank arbeitet allein, auch der Weltwährungsfonds arbeitet allein. Es müsste eine über diesen allen stehen, eine Organisation, in der die Staatschefs zusammenkommen und sich klar werden wie wir unsere Wirtschaft organisieren wollen. Das kann nur die Uno leisten, weil sie eine Werte-Charta besitzt. Das könnte es ermöglichen, dass nicht die Finanzmächte, sondern Regierungen darüber entscheiden, wie gearbeitet werden soll.
Ich habe Freunde in New York die sich dafür einsetzen. Im Jahre 2000, zehn Jahre dem Mauerfall in Berlin, gab es eine große Konferenz über Menschenrechte, Frauen, Soziale Integration. Die Uno hat dabei acht Millenniumsziele festgelegt. Die waren klar formuliert, aber niemand hatte den Auftrag bekommen, diese nun auch wirklich umzusetzen. Dafür braucht es einen Sicherheits-Wirtschaftsrat.

Joschka Fischer: In den Zielsetzungen gibt es keinen Unterschied. Ich glaube nur, dass es so nicht funktionieren wird. Das kann man an den Millenniumszielen sehen. Sie definieren das menschliche Minimum, wenn man es so will. An Ernährung, Gesundheit, Bildung, Wasser, Energie, eigentlich das, was jeder Mensch braucht. Die Millenniumsziele sind hervorragend. Nur es kümmert sich keiner darum. Und das ist der entscheidende Punkt, bei dem die Machtfrage ins Spiel kommt.
Wenn man ein Modell wie den Sicherheitsrat nimmt, dann muss man natürlich wissen, dass der Sicherheitsrat und die Vereinten Nationen nur funktionieren, weil es Vetomächte gibt, das heißt Nationalstaaten, die großen Mächte, wobei die europäischen Mächte mittlerweile nicht mehr ganz so groß sind, was aber vor dem Hintergrund von 1945 erklärbar ist. Die großen Mächte haben im Sicherheitsrat das Sagen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wenn wir uns das jetzt vorstellen als Modell hieße das, dass wir ein Sicherheitsrat mit Vetomächten hätten, bei dem China, Deutschland und Frankreich dazugehören, die USA und andere aufstrebende Mächte, dann weiß ich nicht, ob das von der Mehrheit der Vereinten Nationen akzeptiert würde. Das wird es zum gegenwärtigem Zeitpunkt nicht. Da ist der Krisendruck nicht da.
Eine Reform des Sicherheitsrates sehe ich auch nicht. Ich würde sie mir wünschen. Ist aber nicht drin. Deswegen glaube ich, Stéphane, das eine Institution wie die G16 eine größere Bedeutung erlangen wird. G8 ist Geschichte, gut so, weil sie reflektiert nicht die Realität.
Ja, ich würde mir eine Reform der Vereinten Nationen wünschen, aber realistischerweise sehe ich nicht das die heutige Mehrheit in der Generalversammlung und die Interessen der Vetomächte eine solche Reform zulassen werden. Leider. Wir werden also für einen längeren Zeitraum mit informellen Lösungen oder keinen Lösungen leben müssen.

Stéphane Hessel Ich verstehe völlig, dass Sie das als etwas vielleicht Wünschenswertes, aber augenblicklich nicht organisierbar sehen. Man müsste also die einzelnen Millenniumsziele aufteilen, sodass man sie voranbringen kann, ohne einen neuen Rat zu schaffen. Ich habe aber immer wieder das Gefühl, dass es unter den 193 Staaten, die jetzt in der Uno sitzen, einen Wunsch gibt, weiterzugehen. Den sollte man nicht liegen lassen, auch weil dieser Wunsch von den Zivilorganisationen in allen Länder geteilt wird, die ja immer mehr werden, nicht wahr? Jedes Mal wenn es eine große Konferenz gegeben hat in Wien über Menschenrechte, in Peking über Frauen, kamen die Nicht-Regierungsorganisationen zusammen und machten Druck. Das hatte Einfluss, nicht nur in Porto Alegre oder in Seattle, sondern auch in anderen Orten. Dieses Mitmachen von Seiten der Zivilgesellschaft halte ich für wichtig genug, um die Regierungen irgendwie dazu zu bringen, dass sie nicht mehr nur ihre Nationalinteressen betrachten.

Joschka Fischer: Aber Stéphane: Porto Alegre und Seattle reflektieren noch die Alte Welt, in der die neue Machtverteilung noch keine Rolle spielte. Heute kommt man ohne China und Indien nicht aus. Damals gab es noch den Glaube, der die Protestbewegung auch beseelt hat, das die Globalisierung ein westlicher Plan, eine Verschwörung oder was auch immer war. Ich habe das nicht geteilt, aber das war die Grundlage. Heute sieht Globalisierung ganz anders aus. Heute bedeutet Globalisierung eher Niedergang des Westens und Aufstieg ganz anderer Mächte. Mit einer Seatlle- oder Porto-Alegre-Formel kommst Du nicht mehr weit.

Daniel Cohn-Bendit: Joschka, richtig. Aber trotzdem musst Du sehen, dass das, was die Nichtregierungsorganisationen in Seattle oder Porto Alegre gefordert haben, jetzt Allgemeingut ist, dass man die Regulierung der Globalisierung als notwendig angesehen hat. Bei der Tobin-Steuer haben alle Regierungen den Kopf gen Himmel gestreckt, um Gottes Willen! Heute spricht sogar Schäuble von einer Finanz-Transaktionssteuer, und alle sind sich einig, das sie notwendig ist.

Joschka Fischer: Ja schön wäre es wenn sich die EU einig wäre.

Daniel Cohn-Bendit: Nein, aber es ist jetzt im offiziellen Diskurs. Ob man den jetzt gewinnt oder nicht, ist eine andere Frage. Ich finde so schnell sollte man die Anti-Globalisierer nicht der historischen Vergangenheit überführen.

Joschka Fischer: Nein aber ich finde einen der bedeutendsten Beiträge dazu, den wir unter unseren Augen erleben, ist der arabische Frühling, wo eine neue Generation jetzt in das, nennen wir es 21. Jahrhundert oder nennen wir es Globalisierung oder was auch immer eintritt. Und zwar auf der Grundlage von Werten, die nicht jene des arabischen Nationalismus, nicht jene des Islamismus sind, sondern die sehr modern und universell sind. Würde, Selbstbestimmtheit, Herrschaft des Rechts, Menschenrechte. Ich finde die Welt ist weiter gegangen, wir werden mit diesem klassischen Anit-Globalisierungsdiskurs nicht weiter kommen. Das zumindest ist meine Meinung.

Stéphane Hessel: Ja, damit bin ich auch einverstanden. Die Art und Weise, wie man sich gegen die Schrecken dieser Welt wehrt, verändert sich. Ich glaube, wir stehen vor einer Schwelle.
Ich habe einen Freund namens Edgar Morin. Er spricht metamorphosisch. Wir sind in einer Welt, die sich metamorphieren könnte und zwar nicht nur durch eine Veränderung der Wirtschaftsorganisation oder der Gesellschaftsorganisation, sondern durch eine Veränderung des Denkens und des Lebens. Das schreibt er in seinem schönen Buch „La Voie“. Wir stehen vor Gefahren, die wir noch nicht richtig kennen, trotz alledem was ihr beiden deutschen Grünen oder europäischen Grünen uns beigebracht habt. Wir wissen, wo die Gefahren lauern, wir wissen wie gefährlich die Welt ist. Wir wissen auch, wie gefährlich die Ungerechtigkeiten in der Wirtschaft sind und die Lücke zwischen Armut und Reichtum. Wir wissen das, aber was wir noch nicht wissen, ist, dass es in uns steht, in jedem von uns, dagegen etwas zu tun und zu sagen: Das wollen wir nicht mehr, wir wollen jetzt etwas anderes. Und wenn wir das alle zusammen sagen, dann werden unsere Regierungen darauf hören, denn die haben wir ja gewählt und die nächsten können wir auch wählen. Wir müssen nur richtig wählen, nicht wahr?

Joschka Fischer: Ich möchte etwas zu dieser arabischen Revolution sagen, na: nicht sagen, sondern in den letzten Tagen hat mich was geärgert. Erstmal gab es etwas Schreckliches, nämlich den Angriff von Muslimen auf eine Kirche und das Brennen einer Kirche in Kairo. Das war praktisch auf Platz 1 in allen Nachrichten. Drei Tage später haben zehntausende von Christen und Muslimen auf auf dem Tahrir-Platz miteinander demonstriert, dass das aufhört. Das war kaum eine Nachricht wert, obwohl das eine der schönsten Aktionen der ägyptischen Revolution war.

Daniel Cohn-BenditZum Schluss möchte ich ein Problem ansprechen. Es ist nah an der arabischen Revolution. Stéphane, Du warst in Gaza? Du hast auch mit der Hamas gesprochen?

Stéphane Hessel: Ja, im Oktober.

Daniel Cohn-Bendit: Du hast vor allem dezidiert mit dem Führer der Hamas, mit Haniyya gesprochen.

Stéphane Hessel: Ja, ich wollte ihn treffen. Wenn man nach Gaza geht, und man spricht nicht mit dem, der da die Macht hat, dann ist man völlig außerhalb jeder richtigen Diplomatie. So viele Europäer sind da hin gereist, auch der Tony Blair zum Beispiel, und nie haben sie mit Haniyya sprechen wollen. Das finde ich dumm. Ich hatte natürlich gar nichts zu bieten. Ich hatte keine Botschaft zu bringen. Ich wollte ihn nur treffen. Aber ich wollte wissen, ob er immer noch darauf besteht, dass Palästina auch ohne Israel leben könnte, das man Israel nicht braucht. Denn das ist natürlich ein Standpunkt, den niemand verteidigen kann. Aber er hat mir und Régis Debray klar gesagt: "Was wir wünschen, ist die Rückkehr zu den Grenzen von 67, also das Bestehen von Israel und zwar über 78 Prozent von Palästina. Das ist augenblicklich was Israel besitzt und was in den Bestimmungen des Sicherheitsrats steht. Ich halte es also jetzt für notwendig der israelischen Regierung zu sagen, und es ist eine der schlimmsten Regierungen die Israel je gehabt hat, fürchterliche Leute, naja, ihnen also zu sagen: „Ihr müsst jetzt endlich für das Volk Palästinas einen Staat schaffen, wie ihr auch für Israel einen Staat habt.“ Gerade haben das auch 18 israelische Ordensträger gesagt ...

Joschka Fischer: 120 Träger des israelischen Ordens waren das.

Stéphane Hessel: Na, umso besser. Ich halte das für einen Fortschritt. Ich bin nur unglücklich, dass wir Europäer so feige sind. Wir sagen: "Oh, Israel, Israel, denen dürfen wir nichts sagen, wir haben uns so schlecht benommen im Zweiten Weltkrieg.“ Im Gegenteil: Es gehört dazu, wenn wir Israel für ein wichtiges Land halten. Wir wollen ein starkes und ein freiheitliches Israel haben. Und dafür braucht man neben Israel einen palästinensischen Staat.

Daniel Cohn-Bendit: Joschka, ich weiß es ist eine der schwierigsten Diskussionen auch hier in Deutschland, aber ich glaube, wenn die Palästinenser welche Bedingungen auch immer zu einer Einheit gefunden haben, dass uns das Spiel, wenn Fatah und Hamas zusammengehen, dann reden wir nicht, nicht weiterbringt.

Joschka Fischer: Wer macht das denn?

Daniel Cohn-Bendit: Israel bis jetzt.

Joschka Fischer: Aber sonst?

Daniel Cohn-Bendit: Sonst niemand. Meine Frage ist eine andere. Ist es heute nicht an der Zeit, ob es die Vereinigten Staaten sind, ob es Europa ist oder der Sicherheitsrat ist mir im Grunde genommen völlig egal, beide an die Hand zu nehmen und einen eigenen Vorschlag zu machen.

Joschka Fischer: Die Frage, ob eine Lösung dieses tragischen Konflikts nur einen Zwei-Staaten Lösung sein kann, die bejahe ich voll inhaltlich. Und das diese Zwei-Staaten-Lösung letztendlich auf Grenzen von 1967 vor Beginn des Juni-Krieges gründen muss mit gemeinsam vereinbarten Gebietsaustausch und dem Einschluss auch Ostjerusalems und all den anderen Fragen. Auch da gibt es mit mir überhaupt kein Streit, weil die Alternative bedeutet: eine Fortdauer des Konflikts. Und de facto eine bi-nationale Realität zwischen dem Mittelmeer und dem Jordangraben. Und das wird zu Lasten der Palästinenser aber vor allen Dingen auch zu Lasten Israels gehen. Das weiß man auch in Israel. Mit der Hamas ist es so eine Sache. Die Hamas könnte ganz einfach aufhören mit dem Raketenbeschuss...

Daniel Cohn-Bendit: Haben sie.

Joschka Fischer: Ach, und jetzt ging es dann wieder los.

Daniel Cohn-Bendit: Ich war jetzt dort.

Joschka Fischer: Wenn Haniyya das öffentlich sagen würde, was er Ihnen gesagt hat, wären wir einen großen Schritt weiter. Die Europäer waren damals da und ich kenn die Kollegen alle. Ich war damals nicht mehr in der Regierung, aber ich habe mit vielen gesprochen, die sind nach Gaza gepilgert als es noch möglich war, nach den Wahlen, die frei und fair waren, um die Hamas zu überzeugen, sich verantwortlicher zu verhalten. Das Ergebnis war nicht sehr erfolgversprechend. Ich sag ganz offen, ich bezweifle, dass die Hamas im Moment dazu bereit ist und Haniyya hat nicht die Möglichkeit. Ich finde man sollte daran arbeiten. Man kann Gaza nicht sozusagen dauerhaft isolieren, das wird nicht funktionieren.
Ich finde man sollte versuchen aus der Vereinbarung, die jetzt getroffen wurde zwischen Fatah und Hamas, die positiven Elemente herausarbeiten, Sie merken ich rede sehr diplomatisch, aber das geht nicht anders, und mit einem konstruktiven Ansatz zu versuchen, zu prüfen wie belastbar das Ganze ist. Wenn es belastbar ist, wäre ich der Erste, der sich freut.
Aber im Gegensatz zu euch beiden: Ich kenne sie alle. Ich saß mit allen Stunden um Stunden zusammen. Ich kenne die und zwar auf beiden Seiten, ich könnte jetzt, weil wir hier im Theater sind, die einzelnen Rollen vorspielen. Weil ich sie so oft erlebt habe. Der Vorteil des Oft-Erlebens ist, irgendwann schaust du dahinter. Ich kenne die offiziellen Agenten und ich kenne die Agenten unter dem Tisch, die oft wichtiger sind als die offiziellen Agenten. Ich kenne die Vorurteile, die Sorgen, die Angst. Ich kann Dir nur sagen, für mich ist eines völlig klar: Zu Israel gibt es keine Alternative. Man muss verstehen, dass die Israelis alles im Lichte ihrer Sicherheit bewerten werden. Ob einem das gefällt oder nicht, sie werden es tun. Und ich rechtfertige damit gar nicht die Siedlungen ...

Daniel Cohn-Bendit: Die Siedlungen haben mit Sicherheit genau so damit zu tun, wie Männer- und Frauenfußball miteinander gespielt wird.

Joschka Fischer: Das ist jetzt eine Aussage, die würd ich so nicht unterstreichen. Aber was die Siedlung betrifft sind wir überhaupt nicht gegenteiliger Ansicht. Auch da sag ich ja: ich kenne die Positionen und weiß auch zu sagen, wie gedacht und gehandelt wird.
Für mich ist ganz entscheidend und du wirst von außen das nicht hin bekommen. Die Einzigen die das machen könnten, aber deren Kraft ist begrenzt, sind die USA. Die Europäer, die Russen, die Chinesen interessieren sich nicht dafür. Die können das nicht. Übrigens gilt generell: Meine Erfahrung ist, wenn sich die USA nicht engagieren, geht in der Regel wenig.

Daniel Cohn-Bendit: Und wenn sie sich falsch engagieren, wird’s schlecht

Joschka Fischer: Ja, das haben wir im Irak erlebt. Aber das ist die Summe meiner Erfahrung. Nur die USA könnten dieses. Aber selbst das wird ihre Kräfte überschreiten. Ich bin gespannt welche Auswirkungen dieser arabische Frühling haben wird, wenn es ein Frühling bleibt und nicht zu einem Winter wird. Das ist für mich die entscheidende Frage. Ich gehöre, Dany, jetzt im Augenblick zu den Pessimisten, die sagen da geht nicht viel. Als Obama angetreten ist wurde ich mehrfach gefragt von verschiedenen Journalisten was ich erwarte. Ich habe gesagt, dass ich da nicht viel erwarte. Und man hat es ja gesehen die Palästinenser waren tief gespalten. Netanjahu wird seine Koalition nicht dran geben. Das hat er schon mal gemacht mit dem Wye River Agreement in den 90er-Jahren unter Clinton. Aber im Nahen Osten weiß man nie. Syrien wackelt, auch das Regime wird nicht von Dauer sein. Ägypten wird einen erheblichen Einfluss haben. Ob das letztendlich auf die palästinensische Seite übergreift, ob dieses den Friedensprozess von der Seite her zum Anlaufen bringt, dass kann ich nicht vorher sagen. Ich würde mich freuen, wenn es so wäre, aber diesen Optimismus den ihr beiden habt ...

Daniel Cohn-Bendit: Das ist kein Optimismus...

Joschka Fischer: Oder sagen wir mal so: diese Position, die ihr beide habt, die kann ich nicht tragen. Ich möchte jetzt zum Schluss eine Geschichte erzählen. Ich war vor zwei Wochen in Sderot, der Ort der immer von den Kassam-Raketen beschossen wurde. Dort habe ich eine Frau getroffen, die Numika heißt. Die haben 1980 einen Kibbutz in Sderot gegründet. Sie wollten nicht mehr auf dem Land leben. Diese Frau hat die ganzen Kassam-Angriffe erlebt. Zwanzig Sekunden von dem Moment, wo Alarm gegeben wird bis zu dem Moment, wo du dich in Sicherheit bringst und du hast fünf Kinder auf der Straße, wie machst du das? Das hat sie alles erlebt. Dann hat sie erlebt wie Gaza 24 Tage lang angegriffen wurde, sie hat gesagt: nicht in meinem Namen. Meine Sicherheit kann nicht die Zerstörung der Anderen bedeuten. Ich finde, wir sollten ein bisschen mehr in diese Argumentation gehen. Das Israel, das sagen wir alle, das Israel absolute Sicherheit haben will, das wissen wir, aber das sollte nicht instrumentalisiert werden für eine falsche Politik.

Daniel Cohn-Bendit: Da stimme ich Dir ja völlig zu, aber: Diese Position wird die nächsten Wahlen nicht gewinnen.

Joschka Fischer: Wo?

Daniel Cohn-Bendit: In Israel.

Joschka Fischer: Es geht erst mal darum das Fatah die Wahl in Palästina gewinnt. Denn das ist das Entscheidende damit eine neue Diskussion, damit eine neue Verhandlung stattfinden kann. Dafür muss Fatah die Wahl gewinnen, sowohl im Westjordanland also auch in Gaza. Da bin ich mal gespannt.

Daniel Cohn-Bendit: Ja, und im Nahen Osten ist alles möglich: Zitat Joschka Fischer.

Joschka Fischer: Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen meinem Freund Daniel Cohn-Bendit und mir, und warum es mir nicht so einfach ist, zu sagen: ich gehe zurück. Im Nahen Osten ist zwar alles möglich, aber in der Regel geht das in die falsche Richtung. Und da will ich folgendes sagen. Voraussetzung dafür, dass solche Positionen in Israel wieder mehrheitsfähig werden, würde bedeuten, dass eine wirkliche Friedensperspektive eröffnet wird. Sonst bekommst Du die Mehrheit, die Du heute hast. Jetzt komme ich zu Fatah auf der palästinensischen Seite. Mag sein, dass viele Menschen von den auch durchaus terroristischen und Zwangsmethoden der Hamas genug haben. Aber der Hass auf die Korruption ist größer, und da ist vor allem der Name Fatah mit verbunden.

Daniel Cohn-Bendit: Ja aber Fayyad hat die Sachen verhindert...

Joschka Fischer: Fayyad hat in der Fatah keine große Basis.

Daniel Cohn-Bendit: Aber die Realität im Westjordanland wird gesteuert im Moment von Fayyad und nicht von Fatah.

Joschka Fischer: Naja, wollen wir mal sehen.

Daniel Cohn-Bendit: Geh nach Ramallah, geh nach Dschenin.

Joschka Fischer: Ich war da. Wir müssen jetzt zum Ende kommen.

Daniel Cohn-Bendit: Ich will zwei Sachen sagen: Erstens möchte ich sagen, Stéphane, Du gehst jetzt nach Frankreich zurück. Du kommst aus dieser Diskussion. Was für ein Gedicht würdest Du jetzt aufsagen?

Stéphane Hessel: Ich würde gerne ein französisches Gedicht aufsagen, was hoffentlich für ein solch internationales Publikum verständlich sein wird, aber ich möchte nur noch schnell sagen, ich bin mit einem völlig einverstanden. Nämlich die Wichtigkeit der USA. Wenn wir uns denken könnten, dass die Amerikaner einen richtigen Grund haben, auch Iran gegenüber eine neue Beziehung mit dem Islam auszuarbeiten, Obama wollte das ja, dann können sie vielleicht endlich den Druck ausüben, und den Israelis beibringen, dass ihr Ansehen in der Welt immer schlimmer wird, wenn sie weiter auf die Palästinenser hauen. Das ist nämlich nichts Gutes für Israel, das macht die israelische Stellung gegenüber der Welt so schrecklich. Daran sollten die Amerikaner mit den Israelis arbeiten. Und jetzt zu Guillaume Apollinaire. Das Gedicht heißt „Le Pont Mirabeau“. Es spielt in Paris:
Sous le Pont Mirabeau coule la Seine,
et nos amours,
faut-il qu´il m´en souvienne,
la joie vennait toujours après la peine,

vienne la nuite sonne l´heure,
le jour s´en vont je demeure,

Les mains dans les mains restons face à face,
tandis que sous,
le pont de nos bras passe,
des éternels regards l´ondes si lasse,

vienne la nuite sonne l´heure,
les jours s´en vont je demeure,

L´amour s´en va comme cette eau courante,
l´amour s´en va
comme la vie est lente,
et comme l´Espérance est violente,

vienne la nuite sonne l´heure,
les jours s´en vont je demeure,

passent les jours et passent les semaines,
ni temps passé,
ni les amours reviennent,
sous le pont Mirabeau coule la Seine,

vienne la nuite sonne l´heure,
les jours s´en vont je demeure.


(Applaus)

Daniel Cohn-Bendit: Meine Damen und Herren, sie können gleich weiter klatschen. Ich möchte heute Abend trotzdem eine Vision loswerden. Es wäre doch ganz schön, wenn Joschka Fischer Präsident der EU-Kommission wäre und Stéphane Hessel Sonderbeauftragter für Empörung und Menschenrechte. Vielen Dank und schönen Abend.

Stéphane Hessel: Und was sich Dany wünscht, wird immer war.
 
28. Mai 2011, 17.07 Uhr
red
 
 
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