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Theater Willy Praml
Wie Jesus in die Naxoshalle kam
2004 wurde „Jesus d’Amour“ beim Theater Willy Praml in Frankfurt uraufgeführt. Dieses Jahr feiert die Inszenierung ihre zwanzigste Wiederaufnahme. Ein Interview mit Willy Praml und Michael Weber.
Die Vorgeschichte des Theater Willy Praml beginnt mit einem kleinen Kirchenskandal: 1990 inszenierte Willy Praml in Mittelhessen Franz Xaver Kroetz’ „Bauern sterben“, in dem ein Geschwisterpaar aus seinem Dorf flieht und das Kirchenkreuz stiehlt. Die Schwester rutscht danach ins Rotlichtmilieu ab, der Bruder wird Zuhälter – das war zu viel für Mittelhessen: Der Bischof von Limburg predigte gegen das Stück.
„Ich habe alle Szenen rausgenommen, von denen ich dachte: Die könnte ich meiner Mutter nicht zum Lesen geben“
JOURNAL FRANKFURT: Herr Praml, Herr Weber, war Ihre Inszenierung der Weihnachtsgeschichte als ein Versöhnungsangebot an die Kirche gemeint?
Praml: Es ging uns bei Kroetz eigentlich auch gar nicht darum, zu provozieren. Ich habe alle Szenen rausgenommen, von denen ich dachte: Die könnte ich meiner Mutter nicht zum Lesen geben. Eine Aktionsgemeinschaft engagierter Christen hat trotzdem alle diese Szenen gesammelt, zusammengestellt und in die Briefkästen geworfen. Der Bischof hat gesagt, das Stück kann man sich nicht angucken. Wobei ich das in „Bauern sterben“ eigentlich schön fand, dass zwei junge Menschen mit dem Kreuz, das sie beschützen soll, durch die Welt fahren.
Kann man ja auch christlich auslegen.
Praml: Absolut, haben wir auch gemacht.
„Seltsamerweise haben Willy Praml und ich ein Faible für die Bibel und für Jesus als Figur“
Viele Theater zeigen in der Vorweihnachtszeit Weihnachtsinszenierungen, in der Regel handelt es sich aber um Familienstücke oder Boulevardkomödien. Ihre Inszenierung dagegen zeigt die biblische Jesusgeschichte. Wie kam es zu dieser Idee?
Praml: Zum einen beschäftigen Michael Weber und ich uns gern mit den großen Mythen, Stoffen und Texten der Weltliteratur, und dazu gehört auch die Bibel. Das zweite ist: Ich bin als Jugendlicher in einem katholischen Klosterinternat sozialisiert und habe dort den geistigen Nährboden meines Lebens und für das Theatermachen gefunden. Da habe ich
schon als 14-/15-Jähriger angefangen, Theater zu spielen und zu inszenieren, und das prägt natürlich.
Weber: Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt in Mülheim an der Ruhr und habe mich auf eigene Faust in die örtliche Stadtbücherei begeben, was man eben tut, wenn es zu Hause keine Bibliothek gibt. Seltsamerweise haben Willy Praml und ich ein Faible für die Bibel und für Jesus als Figur.
„Wir haben uns getraut, die biblische Geschichte ohne Ironie zu inszenieren“
Es gibt in den Evangelien verschiedene Versionen der Geburtsgeschichte Jesu. Wie haben Sie Ihren Bühnentext zusammengesetzt?
Praml: Wir haben damals schon gesagt: Es wird eine Produktion wie die Passionsspiele in Oberammergau. Wir haben uns also getraut, die biblische Geschichte ohne Ironie zu inszenieren. Nicht nur aus reinen Glaubensgründen allein, sondern weil der Stoff sehr gut ist, ein großes Theaterstück.
Weber: Wir haben das Original genommen und nicht irgendetwas Niedrigschwelliges, weil wir an Texte glauben. Unser Text ist eine Mischung aus allen vier Evangelien. Was wir daraus gemacht haben, ist eine Art modernes Krippenspiel.
„In diesem Jahr ist die Christusfigur mit einem Mädchen besetzt“
Die Geschichte bietet einige Parallelen zum Zeitgeschehen: Es geht um ein besetztes Land, migrierte Menschen, die aus bürokratischen Gründen in ihre Geburtsstädte zurückkehren müssen; einen Herrscher, der um seine Macht fürchtet. Passen Sie den Text beziehungsweise die Inszenierung entsprechend an?
Weber: Die Parallelen zum Zeitgeschehen ergeben sich von selbst, durch die Zuschauerin oder den Zuschauer. In den 20 Jahren gab es vor allen Dingen einige Umbesetzungen, insbesondere natürlich des Jesuskinds – unser erstes Jesuskind ist heute dreißig Jahre alt. In diesem Jahr ist die Christusfigur mit einem Mädchen besetzt.
„Unser Ausgangspunkt ist die Abendmahlszene von da Vinci“
Was, würden Sie sagen, ist besonders an der Inszenierung?
Praml: Was ich am schönsten finde, ist, dass mit der Geburt von Jesus bei uns immer das Kreuz in der Naxoshalle aufleuchtet. Das heißt, dass dieser Gottessohn am Anfang schon weiß, wie er enden wird: Er wird enden wie ein Mensch. Das finde ich eine großartige Botschaft des Christentums: Ein Gott kommt auf die Welt und durchleidet seine ganze Existenz als Mensch.
Weber: Unser Ausgangspunkt ist die Abendmahlszene von da Vinci, also der Schluss der ganzen Geschichte. Zwölf Menschen sitzen beim Abendmahl zusammen, deshalb spielen wir auch zu zwölft – durch alle Altersstufen und über alle Altersgrenzen hinweg. Genau das war der Impetus bei der Besetzung: nicht nur mit Schauspielern, sondern auch Laien, mit allen möglichen Physiognomien und Stimmen der Gesellschaft.
„Das Theater bietet einen Zugang für Leute, die eigentlich nicht so bibelfest sind“
Ist auch das Publikum entsprechend vielfältig?
Weber: Es kommen Leute immer wieder, jedes Jahr, statt in die Kirche zu gehen. Das Theater bietet einen anderen Zugang, auch für Leute, die eigentlich nicht so bibelfest sind.
Praml: Ein Pfarrer hat mal gesagt: „Wie macht ihr das? Zu euch kommen die Leute freiwillig, zahlen Geld und kriegen dann auch noch eine Geschichte, die sie schon kennen, als spannende Abenteuergeschichte erzählt.“ Aber es ist auch eine große Geschichte, wie eine griechische Tragödie: ein Staat, der besetzt ist, der in Aufruhr ist, weil der Thron des Königs wackelt.
„Nächstenliebe ist heute aktueller denn je und ist nach wie vor eine Zumutung“
Dachten Sie bei der Uraufführung 2004, dass Sie die Inszenierung heute noch spielen würden?
Weber: Wir waren damals im Aufbau hier auf Naxos und haben überlegt, ob man etwas regelmäßig spielt, und dann haben wir gesagt: Wir machen das für Weihnachten – und es hat sich irgendwie bewährt. Bei der Premiere hat es dann sogar geschneit, Ende November, vor zwanzig Jahren.
Praml: Es sind eben zeitlose Themen. Die zentrale Botschaft des Christentums ist Nächstenliebe: Liebe deine Mitmenschen, sogar deine Feinde. Das ist heute aktueller denn je und ist nach wie vor eine Zumutung.
Info
Jesus d’Amour, Schauspiel, Ffm: Theater Willy Praml, Waldschmidtstraße 19, 14./15., 21.-23.12, 20 Uhr, www.theaterwillypraml.de
JOURNAL FRANKFURT: Herr Praml, Herr Weber, war Ihre Inszenierung der Weihnachtsgeschichte als ein Versöhnungsangebot an die Kirche gemeint?
Praml: Es ging uns bei Kroetz eigentlich auch gar nicht darum, zu provozieren. Ich habe alle Szenen rausgenommen, von denen ich dachte: Die könnte ich meiner Mutter nicht zum Lesen geben. Eine Aktionsgemeinschaft engagierter Christen hat trotzdem alle diese Szenen gesammelt, zusammengestellt und in die Briefkästen geworfen. Der Bischof hat gesagt, das Stück kann man sich nicht angucken. Wobei ich das in „Bauern sterben“ eigentlich schön fand, dass zwei junge Menschen mit dem Kreuz, das sie beschützen soll, durch die Welt fahren.
Kann man ja auch christlich auslegen.
Praml: Absolut, haben wir auch gemacht.
Viele Theater zeigen in der Vorweihnachtszeit Weihnachtsinszenierungen, in der Regel handelt es sich aber um Familienstücke oder Boulevardkomödien. Ihre Inszenierung dagegen zeigt die biblische Jesusgeschichte. Wie kam es zu dieser Idee?
Praml: Zum einen beschäftigen Michael Weber und ich uns gern mit den großen Mythen, Stoffen und Texten der Weltliteratur, und dazu gehört auch die Bibel. Das zweite ist: Ich bin als Jugendlicher in einem katholischen Klosterinternat sozialisiert und habe dort den geistigen Nährboden meines Lebens und für das Theatermachen gefunden. Da habe ich
schon als 14-/15-Jähriger angefangen, Theater zu spielen und zu inszenieren, und das prägt natürlich.
Weber: Ich komme aus einem Arbeiterhaushalt in Mülheim an der Ruhr und habe mich auf eigene Faust in die örtliche Stadtbücherei begeben, was man eben tut, wenn es zu Hause keine Bibliothek gibt. Seltsamerweise haben Willy Praml und ich ein Faible für die Bibel und für Jesus als Figur.
Es gibt in den Evangelien verschiedene Versionen der Geburtsgeschichte Jesu. Wie haben Sie Ihren Bühnentext zusammengesetzt?
Praml: Wir haben damals schon gesagt: Es wird eine Produktion wie die Passionsspiele in Oberammergau. Wir haben uns also getraut, die biblische Geschichte ohne Ironie zu inszenieren. Nicht nur aus reinen Glaubensgründen allein, sondern weil der Stoff sehr gut ist, ein großes Theaterstück.
Weber: Wir haben das Original genommen und nicht irgendetwas Niedrigschwelliges, weil wir an Texte glauben. Unser Text ist eine Mischung aus allen vier Evangelien. Was wir daraus gemacht haben, ist eine Art modernes Krippenspiel.
Die Geschichte bietet einige Parallelen zum Zeitgeschehen: Es geht um ein besetztes Land, migrierte Menschen, die aus bürokratischen Gründen in ihre Geburtsstädte zurückkehren müssen; einen Herrscher, der um seine Macht fürchtet. Passen Sie den Text beziehungsweise die Inszenierung entsprechend an?
Weber: Die Parallelen zum Zeitgeschehen ergeben sich von selbst, durch die Zuschauerin oder den Zuschauer. In den 20 Jahren gab es vor allen Dingen einige Umbesetzungen, insbesondere natürlich des Jesuskinds – unser erstes Jesuskind ist heute dreißig Jahre alt. In diesem Jahr ist die Christusfigur mit einem Mädchen besetzt.
Was, würden Sie sagen, ist besonders an der Inszenierung?
Praml: Was ich am schönsten finde, ist, dass mit der Geburt von Jesus bei uns immer das Kreuz in der Naxoshalle aufleuchtet. Das heißt, dass dieser Gottessohn am Anfang schon weiß, wie er enden wird: Er wird enden wie ein Mensch. Das finde ich eine großartige Botschaft des Christentums: Ein Gott kommt auf die Welt und durchleidet seine ganze Existenz als Mensch.
Weber: Unser Ausgangspunkt ist die Abendmahlszene von da Vinci, also der Schluss der ganzen Geschichte. Zwölf Menschen sitzen beim Abendmahl zusammen, deshalb spielen wir auch zu zwölft – durch alle Altersstufen und über alle Altersgrenzen hinweg. Genau das war der Impetus bei der Besetzung: nicht nur mit Schauspielern, sondern auch Laien, mit allen möglichen Physiognomien und Stimmen der Gesellschaft.
Ist auch das Publikum entsprechend vielfältig?
Weber: Es kommen Leute immer wieder, jedes Jahr, statt in die Kirche zu gehen. Das Theater bietet einen anderen Zugang, auch für Leute, die eigentlich nicht so bibelfest sind.
Praml: Ein Pfarrer hat mal gesagt: „Wie macht ihr das? Zu euch kommen die Leute freiwillig, zahlen Geld und kriegen dann auch noch eine Geschichte, die sie schon kennen, als spannende Abenteuergeschichte erzählt.“ Aber es ist auch eine große Geschichte, wie eine griechische Tragödie: ein Staat, der besetzt ist, der in Aufruhr ist, weil der Thron des Königs wackelt.
Dachten Sie bei der Uraufführung 2004, dass Sie die Inszenierung heute noch spielen würden?
Weber: Wir waren damals im Aufbau hier auf Naxos und haben überlegt, ob man etwas regelmäßig spielt, und dann haben wir gesagt: Wir machen das für Weihnachten – und es hat sich irgendwie bewährt. Bei der Premiere hat es dann sogar geschneit, Ende November, vor zwanzig Jahren.
Praml: Es sind eben zeitlose Themen. Die zentrale Botschaft des Christentums ist Nächstenliebe: Liebe deine Mitmenschen, sogar deine Feinde. Das ist heute aktueller denn je und ist nach wie vor eine Zumutung.
Jesus d’Amour, Schauspiel, Ffm: Theater Willy Praml, Waldschmidtstraße 19, 14./15., 21.-23.12, 20 Uhr, www.theaterwillypraml.de
11. Dezember 2024, 10.30 Uhr
Julian Mackenthun
Julian Mackenthun
Julian Mackenthun, geboren 1993, studierte Englisch und Geschichte an der Goethe-Universität. Seit 2020 leitet er das Theater-Ressort des Journal Frankfurt. Mehr von Julian
Mackenthun >>
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22. Dezember 2024
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