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Foto: Harald H. Schröder
Foto: Harald H. Schröder

Kunstförderung

„Wir sind ein Wirtschaftsfaktor“

Zeitgemäße Kunstförderung muss die Kunstschaffenden selbst im Blick haben, sagen Haike Rausch, Monika Linhard und Line Krom. Die Künstlerinnen der Freien Szene FFM erklären, warum das nötig ist – und was Frankfurt von anderen Städten lernen könnte.
JOURNAL FRANKFURT: Frankfurt gilt als generöser Standort für Kunst und Kultur. Die Argumentation geht dabei oft so: Wenn wir die Institutionen und Strukturen fördern, dann stärken wir damit indirekt auch die freien Künstlerinnen und Künstler. Sie als Koalition der Freien Szene FFM widersprechen. Warum?
Haike Rausch: Gerade in der Bildenden Kunst geht dieses Argument nicht auf. In den Museen, dem Kunstverein, der Schirn werden ja nicht primär Frankfurter Künstler ausgestellt. Was auch gut ist! Wir brauchen den internationalen Austausch. In der freien Kunst aber wird so viel in Eigenleistung auf die Beine gestellt, das komplett außerhalb dieser Strukturen stattfindet – Performances, Kunst im öffentlichen Raum, Atelierarbeit…Dabei gibt es für freie Projekte einen Jahresetat von 80 000 Euro, gedeckelt auf jeweils 5000 Euro, und auch der soll noch gekürzt werden. Es liegt auf der Hand, dass das nicht ausreichen kann.

Monika Linhard: Der Kunstmarkt hat natürlich einen ganz anderen Blick auf die Kunst, als dies historisch einmal der Fall sein kann und wird. Frankfurt und die Nachbarstadt Offenbach haben große, wichtige Kunstinstitutionen. Wenn Absolventen diese verlassen, müssen sie aber erst einmal wachsen können. Das braucht Zeit und Raum.

Line Krom: Durch HfG und Städelschule kommen ständig neue, junge Leute hinzu, die Chancen benötigen. Erst mit der Corona-Krise sind überhaupt die künstlerischen Lebenshaltungskosten, neben unmittelbaren Projekt- und Materialkosten, ins Bewusstsein gerückt. Es ist schön, dass es diese Ausstellungshäuser gibt. Aber sie sind nicht Teil der Arbeit.
Was fordern Sie konkret von der Stadt?

ML: Die Fördersituation muss modernisiert werden. Transparenz ist für mich oberstes Gebot – und eine gelungene Kommunikation mit den Akteuren. Ein runder Tisch, ein jour fixe mit dem Kulturdezernat wäre wichtig.

HR: Es ist uns völlig klar: Die Zeiten sind prekär, Gelder sind knapp. Gleichzeitig sagen alle gern „Die Künste sind unverzichtbar!“ Aber Geld möchte man für sie dann doch nicht in die Hand nehmen. Dabei werden Schulden aufgenommen für Soziales und Umweltanliegen. Das ist gut und richtig. Aber warum dann nicht für die Künste? Dabei stellt die Kulturwirtschaft eine der umsatzstärksten Branchen dar. Wir sind ein Wirtschaftsfaktor! Das ist doch bemerkenswert, wenn man sich anschaut, wie prekär viele Kunstschaffende leben.

ML: Kunst ist auch ein Kleber. Ein Mittel, das die Gesellschaft zusammenhält. Das Prozesse reflektiert, Stimmungen einfängt, gesellschaftlich relevante Themen visualisiert.HR: Wir schaffen die gesellschaftlichen Veränderungen ohne die Künste nicht. Gerade weil freie Kunstschaffende frei sind von Trägern und Institutionen, können sie Dinge ganz anders reflektierbar und betrachtbar machen. Diskurse anregen. Wir bringen doch eine große Expertise ein.

LK: Nicht zu vergessen der Imagegewinn, den freie Kunstschaffende leisten: Wenn es um die Belebung der Innenstädte geht, sollen Künstler dann gern mal die Bilder schaffen, die Kommunikation übernehmen. Sie sind überall dabei, aber ihre Arbeit wird nicht als solche identifiziert.

HR: Freie Künstlerinnen und Künstler machen eine Stadt auch für den Tourismus interessant. Wenn Schirn oder MMK geschlossen sind, dann schaue ich doch: Was läuft denn sonst noch so?

Im Mai haben Sie ein digitales Talk-Format gestartet: Darin berichten Expertinnen aus Bremen, Berlin oder Leipzig, was in ihrer Stadt gut funktioniert. Welche Maßnahmen sollte sich Frankfurt zum Vorbild nehmen – speziell für die freie Kunst?
LK: Zwei Punkte sind elementar: Einmal die Ausstellungsvergütung. Alle Räume, die öffentlich gefördert werden, müssen mit dem Antrag der Jahresförderung das Künstlerhonorar entsprechend einem bestimmten Schlüssel einplanen. Wichtig wäre außerdem, Recherche- und Arbeitsstipendien in existenzsichernden Umfang zu schaffen.

HR: Andere Städte räumen der freien Kunst- und Kulturszene einen völlig anderen Stellenwert ein. In Berlin zum Beispiel gibt es in jedem Bezirk eine kommunale Galerie, hinzu kommen geförderte Werkstätten, die von Druck- bis zu Medienwerkstatt viele Arbeitsbereiche abdecken.

ML: Dabei geht es nicht nur darum, was auf den Weg gebracht wird, sondern auch, wie das geschieht. In Berlin gibt es eine eigene, gemeinnützige GmbH, die die Wohn- und Arbeitsateliervergabe, Werkstätten und alle damit zusammenhängenden Aspekte abwickelt. In Bremen wird die Geschäftsführerin des Berufsverband Bildender Künstler) vom Senat finanziert. Gemeinsam mit der Freien Szene wurden verbindliche Ausstellungshonorare, zeitgemäße Förderungen und Stipendien auf den Weg gebracht.

HR: Die Förderung geht oftmals noch immer von einem klassischen Bild als Resultat aus. Dabei findet Kunst in so mannigfaltigen Formen statt – auch performativ, kollektiv, interaktiv, prozesshaft. Nur ein Bruchteil davon lässt sich an die Wand hängen. Und nur ein Bruchteil dieser Arbeit ist sichtbar. Deshalb sind Recherchestipendien notwendig, die eine Förderung von Arbeitsprozessen ermöglichen.

Gerade freie Kunstschaffende müssen oft hybrid arbeiten, um sich das Kunstmachen leisten zu können.
LK: Das ist ein wichtiger Punkt! Tätigkeiten wie das Unterrichten beispielsweise sind von der Künstlersozialkasse nicht akzeptiert – man kann und darf also gar nicht anders als künstlerisch tätig sein.

HR: Zumal Unterrichten ein ganz anderer, voraussetzungsvoller Beruf ist. Niemand würde auf die Idee kommen, einem arbeitslosen Maschinenbauer zu sagen: „Dann unterrichte doch einfach!“ Dieser Satz fällt auch von Politikern immer wieder.

LK: Gleichzeitig ist ja nicht einmal der Wille da, dass Künstler Kunst verkaufen – ergo muss ich mich hier nach anderen Einkommensmöglichkeiten umsehen. Ich habe mehrere Jahre in London gelebt. Dort wird freie Kunst auch von der Stadt ganz klar als Wirtschaftsfaktor betrachtet.

Was könnte sich Frankfurt hier zum Vorbild nehmen?
LK: Frankfurt könnte Kunst ankaufen! Es gibt kommunale Artotheken – Frankfurt aber kauft wenig an.

ML: Auch Kunst am Bau wird kaum für Frankfurter Kunstschaffende ausgeschrieben – und wenn, dann sind die Vergabeverfahren intransparent, man weiß nicht, wie die Jurys besetzt sind…

LK: …es sind auch keine Künstler darin.

ML: Kunst im öffentlichen Raum generell ist in Frankfurt kaum sichtbar. Da könnte man viel mehr tun, auch das ist eine Förderung von freien Künstlerinnen und Künstlern, ebenso wie Kunst am Bau.

Welche Rolle spielen physische Räume in Ihren Forderungen?
LK: Es braucht bezahlbare Räume zum Leben und Arbeiten. In Berlin beispielsweise gibt es geförderte Atelierräume – die kosten 4 € den Quadratmeter. Im atelierfrankfurt, das ebenfalls von der Stadt gefördert ist, zahlt man schon 9 €. Und das ist auch noch ein befristetes Angebot an Kunstschaffende. Die Basis richtet sich auch nur an junge Künstlerinnen und Künstler.

ML: Gerade in der Peripherie könnte viel mehr getan werden. Super, dass die Innenstadt belebt werden soll – aber meiner Meinung nach müsste wesentlich dezentraler gedacht werden.

Nun fehlt es in Frankfurt an allen Ecken und Enden an Flächen, nicht nur in den freien Künsten. Wo sehen Sie noch Möglichkeiten, Raum zu schaffen?
HR: Frankfurt hat eine besondere Raumsituation. Das darf man natürlich nicht verschweigen. Die Stadt hat wenig Fläche, um sich auszubreiten. Im Umland ist mit dem Speckgürtel auch alles dicht.

ML: Sinnvoll wäre, in Neubauquartieren Kunst und Kultur gleich einzuplanen. Da gehören Wohnateliers dazu. Und kleine Galerien, die vielfältig genutzt werden können.

HR: Und dann gibt es noch so viele Leerstände, die einfach nicht bespielt werden…

ML: Wir befinden uns hier ja gerade auch auf dem Gelände der Milchsackfabrik, ein Drittel des Geländes sind vakant. Hier könnte die Stadt ganz konkret und sofort anfangen.

HR: Ebenso in Unterliederbach oder in der Innenstadt, wo zum Beispiel Kooperationsmodelle mit den Eigentümern gegen den Leerstand initiiert werden könnten. Wir geben gerne Ideen. Aber es muss auch von der anderen Seite aufgegriffen werden. Eine Umfrage, die wir unter freien Künstlerinnen und Künstlern durchgeführt haben, zeigt, wie prekär die Lage in Frankfurt ist. Es hat Gründe, dass viele abwandern. Da sucht man sich doch irgendwann lieber Städte wie Leipzig, Berlin oder auch Bremen, wo sowohl die Lebens- als auch die Arbeitsbedingungen für freie Kunstschaffende besser sind.

Noch bis 15. Juli können Frankfurter Kulturschaffende Ideen für den neuen Kulturentwicklungsplan einreichen: kep-ffm.de.

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Dieses Interview ist zuerst in der Juli-Ausgabe (7/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
12. Juli 2022, 12.05 Uhr
Katharina Cichosch
 
 
Fotogalerie:
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