Partner
Ausstellung im Holzhausenschlösschen
Eine Briefbiographie über Siegfried Unseld
Eine Ausstellung im Frankfurter Holzhausenschlösschen widmet sich dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld. Er wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.
Der Mythos Siegfried Unseld lebt in den Köpfen der Frankfurter weiter, auch wenn seine realen Spuren im Stadtbild rarer und rarer werden. Ein Gang durchs Westend, durch die Lindenstraße, vorbei an der legendären Adresse Lindenstraße 29–35. Gibt man bei Google „Suhrkamp“ + „Lindenstraße“ ein, erhält man die Information „Suhrkamp Verlag GmbH und Co. KG Dauerhaft geschlossen.“
Das ist falsch und richtig zugleich, denn der Suhrkamp Verlag an dieser Stelle ist nicht nur geschlossen, sondern abgerissen, eliminiert. In Berlin existiert er trotzdem weiter. Ein paar Schritte weiter, auf der Bockenheimer, das „Café Laumer“, und dort sitzt man und wartet, dass die Tür aufgeht und die Suhrkamp-Mitarbeiter hereinkommen, um hier Mittagspause zu machen oder sich auf einen Kaffee zu treffen mit Autoren, Journalisten, Professoren.
Ein Verlag, der das intellektuelle Klima dieser Stadt beeinflusst hat. An seiner Spitze: Siegfried Unseld, der Verleger. Suhrkamp hat seine Zelte in Frankfurt abgebrochen. Unselds Villa in der Klettenbergstraße wurde kürzlich verkauft. Dort starb Unseld im Oktober 2002. Vor ein paar Wochen kursierte ein Foto: In der Einfahrt der Villa ein Transporter mit dem Schriftzug „Die Profiausmister. Entrümpelungen aller Art.“ Sprechender geht es nicht.
Ausstellung über Siegfried Unseld mittels seiner Briefe
Am 28. September wäre Siegfried Unseld, geboren im Jahr 1924 in Ulm, 100 Jahre alt geworden. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach erschließt und erforscht seit 2010 das Siegfried Unseld Archiv. Rund 11 000 Archivkästen umfasst die Sammlung. In den ausgedehnten, auf konstanten 18 Grad gehaltenen Kellern auf der Marbacher Schillerhöhe musste dafür ein eigener Raum eröffnet werden.
Jan Bürger, der Leiter des Siegfried Unseld Archivs, hat in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag und der Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen zum 100. Geburtstag Unselds eine Ausstellung zusammengestellt, die bis Anfang September in Marbach zu sehen war und nun ins Holzhausenschlösschen nach Frankfurt gewandert ist. Die Ausstellung wirkt in ihrer strikten Reduktion auf den ersten Blick unspektakulär.
Tatsächlich aber sollte man sich einige Stunden Zeit nehmen. Es lohnt sich wirklich. „Siegfried Unseld, der Verleger. Ein Porträt in Briefen“, so lautet der Titel der Ausstellung. Es ist ein so kluger wie zwingender Ansatz, den Verleger und den Menschen Siegfried Unseld im Spiegel dessen zu zeigen, was seine Kommunikation maßgeblich geprägt hat: das Briefeschreiben.
Siegfried Unseld: fleißiger Briefeschreiber und Entdecker literarischer Größen
Rund 50 000 Briefe liegen im Marbacher Archiv, und Jan Bürger merkt mit Blick auf Unselds täglichen Ausstoß an Briefen an, man könne sich „nur wundern, wie er das geschafft hat“. Unseld wird mit dem Satz zitiert, wenn er irgendwann für seine Autoren keine Zeit mehr habe, dann müsse er mit seinem Beruf aufhören.
Was macht den Erfolg Unselds, der stets von sich gesagt hat, er sei verliebt ins Gelingen, aus? Im Kern ist es möglicherweise das Gleichgewicht zwischen einem sicheren ökonomischen Gespür einerseits und andererseits der Fähigkeit, seinen Autoren das Gefühl größter Bedeutung zu geben. Mit Uwe Johnson, Max Frisch, Thomas Bernhard, Martin Walser oder Peter Handke hatte Unseld gleich mehrere Autoren entdeckt, die bereits zu Lebzeiten in den Kanon der klassischen Moderne eingegangen sind.
Doch die große Kunst Unselds bestand darin, diese Bedeutsamkeit auch außerhalb des Literaturbetriebs zu behaupten und zu installieren. Unseld redete seine Autoren groß, nach außen wie nach innen; ein sich permanent perpetuierender Prozess. Und selbstverständlich waren das auch große Autoren. Das Bild vom cleveren Geschäftsmann Unseld, das oft vermittelt wird, verdeckt den Blick auf die Erkenntnis, dass Unseld tatsächlich ein enthusiastischer und empathischer Leser war.
Ausstellung mit mehreren thematischen Stationen zum Suhrkamp-Verleger
Die Ausstellung ist eine Unseld-Briefbiografie, verteilt auf thematische Stationen. Korrespondenzen lesend kann man den Aufstieg des ehrgeizigen Ulmer Verlagsbuchhändlers Unseld zum Jahrhundertverleger nachvollziehen. 1955 erhält er Prokura bei Suhrkamp; 1959, nach dem Tod seines großen Idols Peter Suhrkamp, übernimmt Unseld die Verlagsleitung.
Die Briefwechsel mit Bertolt Brecht, Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Peter Handke oder Thomas Bernhard (schimpfend, wie üblich) sind ebenso erhellend wie diejenigen, die die internationale und politische Vernetzung von Suhrkamp dokumentieren. Der lustigste aller Briefwechsel ist der mit Rainald Goetz. Er zeigt: Treue und Geduld gelten als die Kardinaltugenden des Verlegers Unseld. Und manchmal blitzt ganz unverhofft Humor hindurch.
Info
Siegfried Unseld, der Verleger – Ein Porträt in Briefen. Frankfurt, Holzhausenschlösschen, Justinianstraße 5. Die Ausstellung läuft bis 22.11.; Öffnungszeiten: 28.9.: 10 bis 18 Uhr, 16.10. 20.10.: 10 bis 16 Uhr, 30.9. bis 22.11.: Nach Anmeldung für Gruppen ab 10 Personen und Schulklassen unter info@frankfurter-buergerstiftung.de.
Das ist falsch und richtig zugleich, denn der Suhrkamp Verlag an dieser Stelle ist nicht nur geschlossen, sondern abgerissen, eliminiert. In Berlin existiert er trotzdem weiter. Ein paar Schritte weiter, auf der Bockenheimer, das „Café Laumer“, und dort sitzt man und wartet, dass die Tür aufgeht und die Suhrkamp-Mitarbeiter hereinkommen, um hier Mittagspause zu machen oder sich auf einen Kaffee zu treffen mit Autoren, Journalisten, Professoren.
Ein Verlag, der das intellektuelle Klima dieser Stadt beeinflusst hat. An seiner Spitze: Siegfried Unseld, der Verleger. Suhrkamp hat seine Zelte in Frankfurt abgebrochen. Unselds Villa in der Klettenbergstraße wurde kürzlich verkauft. Dort starb Unseld im Oktober 2002. Vor ein paar Wochen kursierte ein Foto: In der Einfahrt der Villa ein Transporter mit dem Schriftzug „Die Profiausmister. Entrümpelungen aller Art.“ Sprechender geht es nicht.
Am 28. September wäre Siegfried Unseld, geboren im Jahr 1924 in Ulm, 100 Jahre alt geworden. Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach erschließt und erforscht seit 2010 das Siegfried Unseld Archiv. Rund 11 000 Archivkästen umfasst die Sammlung. In den ausgedehnten, auf konstanten 18 Grad gehaltenen Kellern auf der Marbacher Schillerhöhe musste dafür ein eigener Raum eröffnet werden.
Jan Bürger, der Leiter des Siegfried Unseld Archivs, hat in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag und der Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen zum 100. Geburtstag Unselds eine Ausstellung zusammengestellt, die bis Anfang September in Marbach zu sehen war und nun ins Holzhausenschlösschen nach Frankfurt gewandert ist. Die Ausstellung wirkt in ihrer strikten Reduktion auf den ersten Blick unspektakulär.
Tatsächlich aber sollte man sich einige Stunden Zeit nehmen. Es lohnt sich wirklich. „Siegfried Unseld, der Verleger. Ein Porträt in Briefen“, so lautet der Titel der Ausstellung. Es ist ein so kluger wie zwingender Ansatz, den Verleger und den Menschen Siegfried Unseld im Spiegel dessen zu zeigen, was seine Kommunikation maßgeblich geprägt hat: das Briefeschreiben.
Rund 50 000 Briefe liegen im Marbacher Archiv, und Jan Bürger merkt mit Blick auf Unselds täglichen Ausstoß an Briefen an, man könne sich „nur wundern, wie er das geschafft hat“. Unseld wird mit dem Satz zitiert, wenn er irgendwann für seine Autoren keine Zeit mehr habe, dann müsse er mit seinem Beruf aufhören.
Was macht den Erfolg Unselds, der stets von sich gesagt hat, er sei verliebt ins Gelingen, aus? Im Kern ist es möglicherweise das Gleichgewicht zwischen einem sicheren ökonomischen Gespür einerseits und andererseits der Fähigkeit, seinen Autoren das Gefühl größter Bedeutung zu geben. Mit Uwe Johnson, Max Frisch, Thomas Bernhard, Martin Walser oder Peter Handke hatte Unseld gleich mehrere Autoren entdeckt, die bereits zu Lebzeiten in den Kanon der klassischen Moderne eingegangen sind.
Doch die große Kunst Unselds bestand darin, diese Bedeutsamkeit auch außerhalb des Literaturbetriebs zu behaupten und zu installieren. Unseld redete seine Autoren groß, nach außen wie nach innen; ein sich permanent perpetuierender Prozess. Und selbstverständlich waren das auch große Autoren. Das Bild vom cleveren Geschäftsmann Unseld, das oft vermittelt wird, verdeckt den Blick auf die Erkenntnis, dass Unseld tatsächlich ein enthusiastischer und empathischer Leser war.
Die Ausstellung ist eine Unseld-Briefbiografie, verteilt auf thematische Stationen. Korrespondenzen lesend kann man den Aufstieg des ehrgeizigen Ulmer Verlagsbuchhändlers Unseld zum Jahrhundertverleger nachvollziehen. 1955 erhält er Prokura bei Suhrkamp; 1959, nach dem Tod seines großen Idols Peter Suhrkamp, übernimmt Unseld die Verlagsleitung.
Die Briefwechsel mit Bertolt Brecht, Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Peter Handke oder Thomas Bernhard (schimpfend, wie üblich) sind ebenso erhellend wie diejenigen, die die internationale und politische Vernetzung von Suhrkamp dokumentieren. Der lustigste aller Briefwechsel ist der mit Rainald Goetz. Er zeigt: Treue und Geduld gelten als die Kardinaltugenden des Verlegers Unseld. Und manchmal blitzt ganz unverhofft Humor hindurch.
Siegfried Unseld, der Verleger – Ein Porträt in Briefen. Frankfurt, Holzhausenschlösschen, Justinianstraße 5. Die Ausstellung läuft bis 22.11.; Öffnungszeiten: 28.9.: 10 bis 18 Uhr, 16.10. 20.10.: 10 bis 16 Uhr, 30.9. bis 22.11.: Nach Anmeldung für Gruppen ab 10 Personen und Schulklassen unter info@frankfurter-buergerstiftung.de.
26. September 2024, 10.00 Uhr
Christoph Schröder
Christoph Schröder
Christoph Schröder studierte in Mainz Germanistik, Komparatistik und Philosophie. Seine Interessensschwerpunkte liegen auf der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und dem Literaturbetrieb. Er ist Dozent für Literaturkritik an der Goethe-Universität Frankfurt. Mehr von Christoph
Schröder >>
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
documenta 16 in Kassel
Naomi Beckwith übernimmt Künstlerische Leitung
Nach dem Antisemitismus-Skandal rund um die documenta 15 steht nun die Künstlerische Leiterin für die kommende Ausgabe der Weltkunstschau im Jahr 2027 fest: die amerikanische Kuratorin Naomi Beckwith.
Text: Sina Claßen / Foto: Naomi Beckwith wird Künstlerische Leiterin der documenta 16 © Nicolas Wefers
KulturMeistgelesen
- Autobiografie „Freiheit"Angela Merkel liest in Frankfurt
- Nonstop ChristmasWeihnachtskonzerte in Frankfurt und Umgebung
- Streaming-Tipp im Dezember„Say Nothing“: Miniserie über die Troubles in Nordirland
- Cinestar MetropolisIMAX-Kinosaal in Frankfurt eröffnet
- Theater Willy PramlWie Jesus in die Naxoshalle kam
23. Dezember 2024
Journal Tagestipps
Freie Stellen