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Foto: AdobeStock/DimaBerlin
Foto: AdobeStock/DimaBerlin

Hate Speech

Hasskommentare im Netz und ihre Folgen

Eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt: Drei Viertel aller Befragten haben schon einmal Erfahrung mit Hasskommentaren gemacht. Diplompsychologin Yvonne Keßel erklärt, wie die Opfer darunter leiden und warum der negative Ton im Netz die Meinungsfreiheit bedroht. Ein Gastbeitrag.
„Klick“ – neue Sporttasche gekauft, „Klick“ – neuen Flirt auf Tinder entdeckt, „Klick“ – den Wocheneinkauf erledigt – das Internet hat unser alltägliches Leben in vielerlei Hinsicht leichter gemacht. Was früher deutlich zeit- und energieaufwendiger gewesen wäre, erledigen wir inzwischen mit einem Klick. Auch vor unserem Sozialleben hat die Digitalisierung nicht halt gemacht. Zu jeder Tages- und Nachtzeit können wir auf Facebook alte Bekannte treffen, auf LinkedIn unser berufliches Netzwerk erweitern und auf unzähligen Dating-Plattformen den passenden Partner suchen und finden. Wir können liken, kommentieren und in Foren oder Blogs selbst unsere Meinung kundtun. Und das ist großartig.

Doch kommen auch diese Errungenschaften nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Denn wo es Likes, Lob und Liebesbekundungen gibt, da gibt es auch Hass, Beleidigungen und Drohungen. „Hate Speech“ nennt sich das Ganze und gemeint sind Hasskommentare, also abwertende und vorurteilsbeladene Kommentare im Netz gegenüber einzelnen Personen oder ganzen Gruppen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 richten sich Hasskommentare in Deutschland dabei vor allem gegen Menschen mit Migrationshintergrund, Politiker, Frauen und Homosexuelle. Tatsächlich scheint die Hetze im Netz in den vergangenen Jahren signifikant zugenommen zu haben. Ein trauriger Trend, der sich in vielen Ländern zeigt und sich laut einer aktuellen Forsa-Studie während Corona noch verschärft zu haben scheint: Fast drei Viertel aller Befragten der Studie gaben an, im Netz schon einmal Hasskommentaren begegnet zu sein. Besonders betroffen sind dabei jüngere Menschen. Der Hass ist dabei kein neues Phänomen. Auch offline begegnet uns immer wieder die Diskriminierung und Entwürdigung von Minderheiten und Angehörigen spezifischer Gruppen, Mobbing von Schülern, Arbeitskollegen oder Bedrohung von Politikern. Doch dort folgt die Böswilligkeit anderen Gesetzen. Im Netz sind die Hürden gering. Während jemand, der im realen Leben andere offen bedroht und beleidigt, sich diesen in irgendeiner Form überlegen fühlen muss, d.h. entweder körperlich stärker oder beliebter ist oder aus anderen Gründen mehr Macht besitzt, kann im Netz jede oder jeder potenziell zum Hassredner werden. Ausreichend ist ein Zugang zum Internet.

Des Weiteren kann der eigene Unmut online ganz anonym kundgetan werden. Einer Reaktion des Opfers muss sich nicht gestellt werden. Schnell sind beleidigende Worte getippt und gepostet. Mit den Folgen muss sich der Urheber meist nicht auseinandersetzen. Der in der Forschung immer wieder berichtete Effekt der Enthemmung im Netz verstärkt das Problem: Das Gegenüber wird online weniger als Mensch denn als Objekt wahrgenommen, was Empathie schwinden lässt und Hürden, die es im realen Leben zu überwinden gegeben hätte, ebenfalls. Aktuelle Experimente des Max-Planck-Instituts zeigen außerdem, dass sich Nutzer stark am negativen Ton einer Online-Debatte orientieren. Sei der erste Hasskommentar gepostet, folgten schnell weitere, die in ihrer Intensität und Bedrohlichkeit zunähmen. Diese Spirale sei auch durch eine Zurechtweisung der Verbreiter der Hasskommentare durch andere Nutzer nicht zu unterbrechen. Als einzig probates Mittel zur Eindämmung der Beleidigungen habe sich das Löschen der abwertenden Kommentare erwiesen.

Nach einer langen ungeregelten und unzensierten Anfangsphase der sozialen Netzwerke, ist inzwischen die dunkle Seite dieser im Bewusstsein unserer Köpfe angekommen. Die Suche nach Lösungen hat in Politik und Psychologie zumindest begonnen, und mittlerweile gibt es zahlreiche Hilfestellen, an die sich Opfer von Hasskommentaren wenden können (z.B. hateaid.org, no-hate-speech.de, meldestelle-respect.de). Und doch gibt es noch viele offene Fragen. Denn zu den Ursachen des Phänomens und den Motiven der Täter und Täterinnen ist bisher wenig bekannt. Als Beweggründe werden derzeit bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Sadismus und Psychopathie, geringes Vertrauen in die Politik und öffentliche Institutionen sowie eigene Gewalterfahrungen diskutiert. Wer selbst einmal Opfer von Hate Speech im Netz geworden ist, hat laut der Forschung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, später einmal zur Täterin oder zum Täter zu werden.

Obwohl es nur eine Minderheit der Internet-Nutzer ist, die tatsächlich Hasskommentare verfasst, sind die Folgen dieser weitreichend. Die Betroffenen sehen sich mit Angst und Ohnmacht konfrontiert. Denn obgleich das Anfeinden und Androhen von Gewalt im Netz wie auch im realen Leben strafbar ist, bleibt es online oft folgenlos. Nicht nur, weil viele ihre herabwürdigenden Texte anonym verfassen, sondern auch weil bürokratische Hürden Anklage und Strafverfolgung massiv erschweren. Dies macht das geschehene Unrecht für die Opfer noch schwerer zu ertragen, denn sich nicht effektiv zur Wehr setzen zu können, untergräbt die eigene Selbstwirksamkeit und das Vertrauen darin, auch in Zukunft für schwierige Situationen Lösungen finden zu können. Wenn eine Bedrohungssituation zudem noch längere Zeit anhält, weil beispielsweise immer wieder neue Hasskommentare folgen, kann dies sowohl die psychische als auch physische Gesundheit der Betroffenen gefährden. Kopfschmerzen und Übelkeit, aber auch Lustlosigkeit, Angstattacken und Depression werden in Forschungsstudien berichtet.

Doch nicht nur die Opfer leiden unter den Folgen der Hate Speech. Auch unsere Gesellschaft ist massiv davon betroffen, denn der negative Ton im Netz und die damit verbundene Verbreitung von Angst und Schrecken bedrohen die Meinungsfreiheit. Immer mehr Nutzer bekennen sich zu keiner klaren Meinung mehr oder ziehen sich aus den sozialen Netzwerken gar ganz zurück. Was in guter Absicht Menschen auf der ganzen Welt unkompliziert miteinander verbinden sollte, schafft nun durch die Verbreitung von Feindseligkeiten Distanz und gefährdet das Miteinander. Und so ist es wie mit fast allen Errungenschaften in der Menschheitsgeschichte: Fortschritt und Entwicklung gehen immer mit Verantwortung einher. Wenn wir also die unzähligen Vorteile und Chancen der digitalen sozialen Vernetzung nutzen und genießen möchten, müssen wir uns dieser Verantwortung stellen. Jeder Einzelne von uns und wir als Gesellschaft.

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>> Yvonne Keßel: Jahrgang 1983, Diplom-Psychologin und Paartherapeutin, berät seit zehn Jahren Paare und Einzelpersonen in
ihrer Praxis in Frankfurt mit Schwerpunkt auf Paarbeziehungen, persönlicher Entwicklung in Partnerschaften und Umgang mit Affären. Nach ihrem
Psychologie-Studium an der Goethe-Universität promovierte sie 2018 im Fach
Psychologie.

Dieser Gastbeitrag ist zuerst in der Dezember-Ausgabe (12/21) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
29. Juli 2022, 12.25 Uhr
Yvonne Keßel
 
 
Fotogalerie:
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