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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Der „Lange Franz“

Christoph Mäckler: „Der öffentliche Raum ist der Sozialraum unserer Gesellschaft“

Der Brückenbauverein will dem „Langen Franz“ seine alte Dachform zurückgeben. Vereinsgründer und Architekt Christoph Mäckler spricht im Interview darüber, wie viele Rekonstruktionen eine Stadt verträgt und wie Frankfurt seiner Meinung nach in 50 Jahren aussehen wird.
Herr Professor Mäckler, wie viele Rekonstruktionen verträgt eine Stadt?
Christoph Mäckler:
Das kommt auf den Grad der Zerstörung an. Frankfurt ist die größte zusammenhängende Fachwerkstadt in Deutschland gewesen und in einer Nacht weggebrannt. Die ganze Identität der Stadt war auf einen Schlag weg. Von daher ist es zu verstehen, dass die Neue Altstadt so gut in der Bevölkerung ankommt. Ich hatte ja immer dafür plädiert, dass wir dort mit mehr zeitgemäßer Architektur arbeiten. Wir haben in der Altstadt meiner Meinung nach zu viele sogenannte Nachbauten. Es waren eigentlich nur sechs Häuser als rekonstruierte vorgesehen. Es gibt ein paar wunderschöne neue Häuser: zum Beispiel Markt 30 von Morger und Dettli Architekten aus Basel, Markt 14 von Johannes Götz und Guido Lohmann aus Köln oder Markt 10 von Ey Architektur aus Berlin, die zeigen, dass man auch heute Giebelhäuser mit Schieferdach bauen kann, die uns zeitgemäß erscheinen.

Sie haben als Vorsitzender des Gestaltungsbeirats die Neue Altstadt begleitet. Wie ist heute Ihre Sicht auf die Neue Altstadt?
Ich finde sie wunderschön, keine Frage. Der Friedrich-Stoltze-Platz oder die Braubachstraße haben eine große Aufenthaltsqualität. Es ist eine große Leistung der Stadt Frankfurt, der Politik, dass man die Aufgabe nicht dem Zufall überlassen hat, sondern genau festlegt, was gebaut werden soll. Durch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Diskussion gab es auch sehr viel Druck auf die Politik. Alte Frankfurter haben gefragt: Warum baut ihr unsere Stadt nicht wieder auf? Dadurch hat sich die Politik dazu entschlossen, mehr zu rekonstruieren als ursprünglich vorgesehen war.

Engagierte Bürgerinnen und Bürger haben in der Geschichte schon immer Projekte angestoßen, die Frankfurt heute prägen: Zum Beispiel den Bau des Eisernen Stegs, den Wiederaufbau der Alten Stadtbibliothek, die Neue Altstadt. Jetzt gibt es eine Crowdfunding-Kampagne für den „Langen Franz“. Warum soll der Rathausturm überhaupt rekonstruiert werden?
Man müsste umgekehrt fragen: Warum soll er nicht rekonstruiert werden? Es gibt kein Rathaus in Deutschland, das nicht wiederaufgebaut wurde. Das Hamburger oder Münchner Rathaus ohne Turm wären nicht denkbar. Unsere Politiker in Frankfurt regieren die Stadt aus einer Ruine heraus. Es ist ja nicht nur der „Lange Franz“, um den sich der Brückenbauverein bemüht, es gibt ja viele andere kleine Türme und Giebel, vor allem an der Braubachstraße, die alle nicht wieder aufgebaut wurden. Das ganze Gebäude ist nach dem Krieg mit Notdächern eingedeckt worden, was in den Notzeiten nach dem Krieg auch sehr sympathisch war. Das ist typisch Frankfurt: Man hat sich erst um den Wohnungsbau gekümmert und den Aufbau des Rathauses hintenangestellt. Das ist heute allerdings über ein halbes Jahrhundert her. Es ist jetzt an der Zeit, das Gebäude, das die parlamentarische Demokratie der Stadt Frankfurt repräsentiert, wieder in seiner alten Form herzurichten.

Viele Architekten weigern sich, Giebelhäuser mit Schiefer­dächern zu bauen, sagen Sie.
Ja! Ich habe viele Kolleginnen und Kollegen zur Teilnahme am Wettbewerb zur Neuen Altstadt aufgefordert und bekam oft zur Antwort, ob ich verrückt sei, Giebelhäuser bauen zu wollen. So etwas sei undenkbar! Das ist meines Erachtens sehr ideologisch gedacht und damit inakzeptabel, weil Architektur vor allem eine gesellschaftspolitische Komponente hat.

Was ist denn gegen ein Giebelhaus mit einem Schieferdach einzuwenden?
Wir Architekten sind alle im Sinne der Klassischen Moderne erzogen. Die Moderne aber kennt keine Steildächer. Dach ist immer Flachdach. Giebel, Erker, Gauben, Bauteile also, die den Charakter von Straßenfassaden ausmachen, gibt es nicht. Wenn wir lieber in Straßenzügen aus dem 19. Jahrhundert leben wollen, anstelle in Straßenzügen aus dem 21. Jahrhundert, läuft irgendetwas falsch. Das müssen wir analysieren und wir müssen nach den Qualitäten fragen, die die alten Städte hatten. Wie können wir diese Qualitäten in die neue Stadt übertragen?

Sie haben das Institut für Stadtbaukunst an der TU Dortmund gegründet. Hier soll der künstlerische Charakter des Städtebaus einerseits betont und andererseits mit pragmatischen Aspekten zusammengebracht werden. Wie könnte das am Beispiel Frankfurt umgesetzt werden?
Generell kann man sagen, dass eine Stadt vielfältig sein muss. Städtischer Raum benötigt Funktionsmischung, Schönheit, soziale Vielfalt und Dichte. Es bedarf vieler Menschen in einer Stadt, damit sich dort auch Läden ansiedeln können. In einem intakten Stadtraum gibt es unterschiedliche Einkommensschichten nebeneinander. Heute haben wir geförderten Wohnungsbau, in dem eine Bevölkerungsschicht wohnt. Dann haben wir Stadtteile, in denen es nur teure Wohnungen gibt, das heißt, die Gesellschaft wird über den Städtebau gespalten, indem keine soziale Vielfalt zugelassen wird. Außerdem brauchen wir eine funktionale Mischung. Man muss in einer Stadt nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten können. Er muss Gewerbehöfe geben, Räume für Start-ups, Handwerker.

Viele Menschen wünschen sich ja belebte Innenstädte. Nicht häufig hat eine Stadt die Möglichkeit, einen neuen Stadtteil zu schaffen, wie etwa das Europaviertel. Wenn man die Europaallee entlangläuft, sieht man jede Menge belanglose zeitgenössische Architektur. Was ist da schief gelaufen?
Zunächst fehlt im Europaviertel die funktionale Mischung, in erster Linie ist hier Wohnungsbau entstanden. Damit ist das Europaviertel tagsüber menschenleer. Zum anderen fehlen Straßenfassaden, die Möglichkeiten der Gestaltung bieten. Wenn sie etwa durch die Günthersburgallee laufen, werden Sie sehen, dass diese Häuser alle eine differenziert gestaltete Straßenfassade haben. Hinter den Fassaden aber sind, wie im Europaviertel auch, immer die gleichen Wohnungsgrundrisse. Dieser Wohnungsbau aus dem 19. Jahrhundert in Bornheim, Bockenheim oder Sachsenhausen ist sehr seriell gedacht. Jedes Haus hat eine andere Straßenfassade. Der Bewohner kann sich deshalb mit „seinem“ Haus identifizieren.

Wie können die kommenden Herausforderungen in der Stadtgestaltung berücksichtigt werden, etwa der Klimawandel?
Wir müssen versuchen, unsere Häuser so zu bauen, dass sie dauerhaft stehen. Ich führe da wieder das 19. Jahrhundert als Beispiel an. Die Häuser dieser Zeit stehen seit 150 Jahren, und wir wohnen immer noch gerne darin. Die Dauerhaftigkeit spielt in der Ökologie eine zentrale Rolle. Mit Fassadenbegründung kommt man nicht weiter, das ist Augenwischerei. Außerdem spielt der Einsatz unterschiedlicher Baumaterialien eine große Rolle, wir können nicht alles in Holz bauen. Ich wiederhole mich: Stadt ist vielfältig. Wenn Sie ein Hochhaus bauen, können Sie das mit Beton oder Stahl konstruieren, aber nicht mit Holz oder Ziegelsteinen. Ein Wohnhaus mit fünf oder sechs Geschossen dagegen sollte mit Ziegelsteinen errichtet werden. Billige Wärmedämmverbundsystem-Fassaden sollte der Gesetzgeber gesetzlich untersagen.

Wie wird Frankfurt in 50 Jahren aussehen?
Ich glaube, nicht sehr viel anders als heute. Wir werden mehr Hochhäuser und hoffentlich wieder schöne Straßenzüge haben. Wir müssen unsere Straßen und Plätze wieder so herrichten und pflegen, dass sie wieder zu lebendigen Orten werden, wo sich die Frankfurter Bürgerinnen und Bürger gerne aufhalten. Der öffentliche Raum ist für mich der Sozialraum unserer Gesellschaft. Ich hoffe, es wird einen viel besseren öffentlichen Nahverkehr geben. Ich wünsche mir, dass wir einen schönen Mainraum auf der Nord- und Südseite haben werden, und dass das Frankfurter Rathaus mit seinen Türmen wiederhergestellt sein wird.

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Christoph Mäckler (geb. 1951 in Frankfurt am Main) ist Architekt und
Stadtplaner. Er arbeitet in Frankfurt und Berlin und ist seit 1998 Professor an der TU Dortmund am Lehrstuhl für Städtebau. Er ist Gründer des Neuen Brückenbauvereins.

>> Diese Story ist zuerst in der Titelstory der aktuellen JOURNAL FRANKFURT-Ausgabe (3/2022) erschienen.
 
9. März 2022, 12.38 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
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