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Foto: iStockphoto/clu
Foto: iStockphoto/clu

Demokratie gestalten

Nicht entmutigen lassen

Wer von der U-Bahn-Station Parlamentsplatz Richtung Ostpark spaziert, kommt auf dem kürzesten Weg durch die Juchostraße. Benannt ist sie nach Friedrich Siegmund Jucho, einem Frankfurter Rechtsanwalt und Notar, der 1848 Teil der Nationalversammlung war. Ein Gastbeitrag.
Die Verewigung auf den Straßenschildern im Ostend hat sich Jucho (1805-1884) redlich verdient: Als Mitglied der Bewegung für einen demokratischen Nationalstaat nahm er 1832 am „Hambacher Fest“ teil, einem ersten Höhepunkt der deutschen Freiheits- und Verfassungsbewegung, die 1848 mit der Nationalversammlung in der Paulskirche ihren Höhepunkt erreichte. Seine demokratischen Umtriebe brachten dem Juristen 1834 die Verhaftung und einen Hochverratsprozess ein, bis 1839 saß er erst in der Konstablerwache, dann in der Festung Hartenberg bei Mainz.

Umso größer muss für den 42-Jährigen das Gefühl der Befreiung gewesen sein, als er am 18. Mai 1848 in die Paulskirche einzog, um als gewählter Abgeordneter seiner Heimatstadt in der Nationalversammlung über eine Verfassung für ganz Deutschland zu beraten. Jucho und viele seiner Parlamentskollegen werden das historische Ereignis auch als Lohn für ihr Durchhaltevermögen empfunden haben. Denn sie hatten auch in den Jahren der autoritären Restauration vor 1848 nicht aufgegeben, in denen ein Erfolg der Demokratiebewegung wie eine irreale Utopie erschienen sein musste. „Indem sie in jener schweren Zeit sich nicht entmutigen ließen“, schrieb Jucho 1848, „verhüteten jene Männer das Einreißen gänzlicher Trost- und Hoffnungslosigkeit im Volk und wurden die wahren Hüter des verborgenen Freiheitsfunkens.“

Sich in schwerer Zeit nicht entmutigen zu lassen: Das klingt wie ein Appell, der angesichts des grassierenden Autoritarismus und Nationalismus unserer Tage so gültig ist wie lange nicht mehr. Wie eine Aufforderung, das Gedenken an den Beginn der Frankfurter Nationalversammlung vor 175 Jahren mit der Suche nach „Freiheitsfunken“ zu verbinden – gerade dort, wo Freiheit und Demokratie ganz gegenwärtiger Bedrohung ausgesetzt sind. In diesem Sinne gilt es nicht nur, die zweifellos großen Verdienste der „48er“ zu würdigen. Es gilt auch, ihren demokratischen Aufbruch als Auftrag zu verstehen für die Verteidigung und Weiterentwicklung demokratischer und – davon aus heutiger Sicht nicht zu trennen – sozialer Rechte.

Aus dieser Überzeugung ist, neben vielen anderen Aktivitäten im zivilgesellschaftlichen „Netzwerk Paulskirche“, die Idee einer „globalen Versammlung“ entstanden. Der Grundgedanke: So wenig fortschrittlich manches am Paulskirchen-Parlament aus heutiger Sicht erscheint – nur Männer, fast nur Honoratioren, nationales Pathos allenthalben –, so revolutionär war doch damals das Ansinnen, aus dem zersplitterten Land einen geeinten Raum bürgerlicher Rechte und Freiheiten zu machen. Aber in der Ära der Globalisierung lassen sich Demokratie und Freiheit nicht mehr allein innerhalb nationaler Grenzen denken. Heute geht es darum, über globale Demokratie zu reden.

Genau diesem Zweck soll die „Global Assembly“ dienen: Menschen aus aller Welt, die sich im Ringen um bedrohte Freiheitsrechte nicht entmutigen lassen, diskutieren am historischen Ort über die Vision einer globalen Demokratie. Nicht nur in der Paulskirche übrigens, sondern auch im Studierendenhaus auf dem Bockenheimer Campus, das sich gerade zum „Offenen Haus der Kulturen“ entwickelt, also (neben der Paulskirche) zu einem weiteren Ort demokratischen Aufbruchs in Frankfurt.

Es geht bei der globalen Versammlung eher nicht darum, eine „Weltverfassung“ zu schreiben, und was am Ende herauskommt, bestimmen die Teilnehmenden ohnehin selbst. Auf jeden Fall aber soll ein offener Austausch über Elemente eines „Kosmopolitismus von unten“ ermöglicht werden, der den sozialen Brüchen der kapitalistischen Globalisierung und der weithin unerfüllten Hoffnung auf eine von Nationalstaaten getragene Friedensordnung etwas entgegensetzt.

„Kosmopolitismus von unten“, so lautet denn auch der Titel des Symposiums vom 1. bis 3. Oktober, mit dem die Versammlung in die letzte Phase der Vorbereitung geht. Mit Gästen aus Wissenschaft, Kultur und Praxis werden sich die Einladenden über bestehende Ansätze und Ideen für eine demokratische Globalisierung austauschen. Wer mehr dazu wissen will, kann sich unter der Adresse hebel@globalassembly.de an den Autor dieses Textes wenden.

Im Mai 2023 werden sich dann 30 bis 50 Menschen aus aller Welt versammeln, die sich in sozialen Bewegungen, in der Wissenschaft oder in Kunst und Literatur für demokratische und soziale Rechte engagieren. Im Frühjahr 2024, wenn sich die Verabschiedung der Paulskirchen-Verfassung zum 175. Mal jährt, folgt die große „Global Assembly“ mit 50 bis 100 Teilnehmenden.

All das mag utopisch erscheinen in diesen Tagen, da vielerorts die Gewalt regiert und Freiheitsrechte zur Disposition stehen. Aber erschien das Festhalten an der Idee eines vereinten Deutschland mit verfassungsmäßig garantierten Rechten für alle nicht auch zunächst utopisch?

Die Initiative, die die „Global Assembly“ auf den Weg gebracht hat, nennt sich nicht ohne Grund „Der utopische Raum im globalen Frankfurt“. Getragen wird sie von der Stiftung medico international, dem Institut für Sozialforschung, der Frankfurter Rundschau sowie einigen Einzelpersonen: der Literaturagentin Nina Sillem, der Sozialwissenschaftlerin Almut Poppinga und ihrem Kollegen Felix Trautmann sowie dem Historiker und Kurator Gottfried Kößler. Utopie, so die gemeinsame Überzeugung, bedeutet nicht das bunte Ausmalen schöner Welten jenseits der Wirklichkeit. Es bedeutet vielmehr, im Licht der „Freiheitsfunken“, die von engagierten Menschen in aller Welt am Glühen gehalten werden, die Konturen einer demokratischen und gerechten Welt aufscheinen zu lassen.

Robert Blum, der sächsische Parlamentskollege von Friedrich Siegmund Jucho, hat einmal geschrieben: „Es hätte nie ein Christentum und nie eine Reformation und keine Staatsrevolution und überhaupt nichts Gutes und Großes gegeben, wenn jeder stets gedacht hätte: ‚Du änderst doch nichts!‘“ Ist das nicht ein klarer Auftrag, gerade jetzt die Paulskirche zum „utopischen Raum“ zu machen?

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Zum Autor: Stephan Hebel, geboren 1956 in Frankfurt, hat fast 40 Jahre lang als Redakteur und Autor für die Frankfurter Rundschau sowie als Buchautor gearbeitet. Er schreibt jetzt als freier Publizist neben der FR vor allem für die Wochenzeitung Der Freitag. Außerdem vertritt er die FR in der Initiative „Der utopische Raum“, die die globale Versammlung in der Paulskirche plant.

>> Dieser Text ist Teil 5 unserer Themenreihe „Demokratie gestalten“. Er ist zuerst in der September-Ausgabe (9/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
27. Oktober 2022, 11.05 Uhr
Stephan Hebel
 
 
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