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US-Generalkonsul wechselt nach Brüssel

„In Frankfurt gibt es eine Tradition des Verständnisses“

In seinem letzten Interview in Frankfurt blickt der US-Generalkonsul Norman Thatcher Scharpf auf Probleme für die Demokratie – und Frankfurter Besonderheiten.
JOURNAL FRANKFURT: Mr. Scharpf, Sie verlassen Frankfurt in Kürze und gehen nach Brüssel. Wie blicken Sie auf Ihre Zeit hier in Frankfurt?
Norman Thatcher Scharpf: Auch wenn ich nicht denke, dass es mein Verdienst ist, denke ich, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen stärker sind als je zuvor. Wirtschaftlich und diplomatisch sind wir uns einig in unserer Unterstützung für die Ukraine. Die Vereinigten Staaten sind jetzt Deutschlands wichtigster Handelspartner. Wir sind die wichtigste Quelle für ausländische Direktinvestitionen in Deutschland. Und darüber bin ich sehr glücklich.

Warum ist eine starke Beziehung zwischen den USA und Deutschland so wichtig?
Wenn ich mir die Welt anschaue, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, dann brauchen wir mehr denn je die deutsch-amerikanische Kooperation und Zusammenarbeit. Wir brauchen uns und die europäische Zusammenarbeit, aber das funktioniert nicht ohne eine starke deutsche Führung. Und ich finde, dass wir im Moment in einer wirklich guten Position sind. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Wir dürfen niemals nachlassen.

„Ich überlege, was ich mit meiner Museumsufer-Karte mache“

Und was Frankfurt betrifft?
Ich bin traurig, dass wir Frankfurt verlassen. Es war eine fantastische Erfahrung hier. Drei meiner vier Großeltern sind aus dem Südwesten Deutschlands in die Vereinigten Staaten ausgewandert, ich habe meine persönlichen Wurzeln entdeckt. Hier in den kleinen Städten, in denen meine Ur-Ur-Großeltern geboren wurden. Das war einfach eine großartige persönliche Erfahrung.

Was hat Ihnen besonders an Frankfurt gefallen?
An einem unserer letzten Abende war ich bei der Premiere der neuesten Uraufführung im English Theatre Frankfurt und mir wurde wieder bewusst, was für ein großartiges kulturelles Juwel es für Frankfurt als internationale Stadt ist, das größte englische Theater in Europa zu haben. Ich überlege, was ich mit meiner Museumsufer-Karte mache, die bald abläuft und mich an all die großartigen Museen in Frankfurt denken lässt, die wir besucht haben und die wir vermissen werden.

Ich habe auch noch meine Mitgliedskarte des Patronatsvereins, weil wir in Frankfurt das Opernhaus des Jahres genossen haben ... Und dann natürlich vor allem Freunde, wir haben so großartige Freundschaften geschlossen, aber wir gehen nicht weit weg. Wir sagen den Leuten immer, dass sie uns in Brüssel besuchen sollen.

Evakuierung aus Afghanistan und Krieg in der Ukraine

Welche Projekte konnten Sie in Frankfurt umsetzen?
Gleich nach meiner Ankunft im August 2021 gab es die Evakuierung aus Afghanistan. Und wir schickten einen großen Teil unseres Teams von unserem Konsulat auf die Air Base Ramstein, um dabei zu helfen. Es gelang uns, mehr als 36 500 Menschen aus Kabul zu evakuieren, als die Taliban immer näher kamen.

In Ihre Amtszeit fiel auch der Beginn des Kriegs gegen die Ukraine. Was bedeutete das für Ihre Aufgabe?
Der Krieg in der Ukraine hatte einen erheblichen Einfluss, allein schon wegen unserer Rolle bei der logistischen Unterstützung unserer Botschaft in Kiew. Wir schickten Teams, um die Botschaft auf die bevorstehende Invasion durch Putin vorzubereiten. Wir haben die temporäre Schließung und die anschließende Wiedereröffnung logistisch begleitet. Die Abteilung für konsularische Unterstützung wurde temporär nach Frankfurt verlegt.

Erste Akademie für angehende ukrainische Geschäftsfrauen

Wir haben vor kurzem unsere erste Akademie für Unternehmerinnen beendet, in der wir ukrainischen Frauen, die in Südwestdeutschland leben, die Fähigkeiten vermittelt haben, die sie brauchen, um als Geschäftsleute erfolgreich zu sein und dann hoffentlich zurückkehren und die Ukraine nach dem Krieg wieder aufbauen zu können.

Ich habe wahrscheinlich mehr Veranstaltungen mit dem ukrainischen Generalkonsul gehabt als mit jedem anderen meiner diplomatischen Kollegen. Und ja, ich denke, dass die Aufrechterhaltung dieser starken Unterstützung für die Ukraine und ihre Bestrebungen, Teil der Europäischen Union und der NATO zu werden, definitiv einen großen Teil unserer Arbeit hier geprägt hat.

„Wir haben mehr autokratische Staaten in der Welt als demokratische Staaten“

Dann kam der 7. Oktober, der Überfall der Hamas auf Israel.
Ich habe auf vielen Veranstaltungen über die Notwendigkeit der Unterstützung Israels angesichts des zunehmenden Antisemitismus in der ganzen Welt gesprochen, auch in den Vereinigten Staaten und in Deutschland, und über die Notwendigkeit, Israel in seinem legitimen Recht und seiner Pflicht zu unterstützen, sich selbst und sein Volk vor den grausamen Überfällen der Hamas zu schützen.

Unsere Demokratie ist unter Druck. Die Zahl der Autokratien übersteigt die der Demokratien.
Ja, unsere Demokratie steht unter Druck, absolut. Wir haben mehr autokratische Staaten in der Welt als demokratische Staaten. Und sie alle beobachten, was mit der Ukraine passiert. Denn wenn die Ukraine nicht gewinnt und Putin gewinnt, dann wird das andere Autokraten auf der ganzen Welt ermutigen.

Sie werden sagen: Ja, wir haben eine auf Regeln basierende Ordnung, aber wir können unsere eigenen Regeln machen, wir können unser Recht machen. Ja, wir müssen uns nicht an diese Regeln halten. Und das ist eine große Gefahr für unsere Freiheit, Sicherheit, unseren Wohlstand und unsere Art zu leben.

Frankfurt als Sinnbild für große Städte in westlichen Demokratien

Aus Ihrer Sicht: Welche Herausforderungen werden auf Frankfurt zukommen?
Wie viele große Städte wird auch Frankfurt immer vor der Herausforderung stehen, sich als internationale Stadt auf der Weltbühne zu präsentieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die schwächsten Bürgerinnen und Bürger versorgt werden, dass die Museen und das English Theatre und all diese Dinge erhalten bleiben, die Frankfurt zu einem so großartigen Beispiel für eine internationale Stadt machen, während gleichzeitig die Ärmsten versorgt werden durch Bildung, Gesundheitsfürsorge und so weiter.

Ich denke, das steht sinnbildlich für die Herausforderungen, vor denen alle großen Städte in der westlichen Demokratie stehen. Im Moment ist Frankfurt, denke ich, aufgrund seiner Internationalität gut aufgestellt. Als ich mich zum letzten Mal mit Oberbürgermeister Mike Josef getroffen habe, sprachen wir darüber, dass Frankfurt aufgrund seiner Internationalität eher eine Tradition des Verständnisses für die Standpunkte anderer hat.

Des Respekts für die Standpunkte anderer und des Verständnisses für andere. Manchmal wird der andere verteufelt, egal ob es sich um einen Einwanderer oder jemanden handelt, der anderer Meinung ist als man selbst. Aber in Frankfurt scheint es eher eine Tradition des Verständnisses zu geben.

„Demokratie ist nicht der natürliche Zustand menschlicher Herrschaft“

Als ich in den vergangenen drei Jahren hier lebte, hatte ich manchmal das Gefühl, dass es eine Zeit der Selbstzufriedenheit gab, besonders unter jungen Deutschen. Diese Annahme, dass es keine Kriege mehr geben wird! Das Wirtschaftswachstum ist unbegrenzt. Wir müssen uns nicht darum kümmern, wer unsere Partner sind.

Weil alle miteinander auskommen wollen. Und dann ganz plötzlich: Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein Weckruf gewesen. Er hat die jungen Deutschen aus ihrer Selbstgefälligkeit aufgerüttelt. Freiheit ist also nicht selbstverständlich. Das ist es, was wir ihnen sagen müssen.

Demokratie ist nicht der natürliche Zustand menschlicher Herrschaft. Wenn man sich die Geschichte der Menschheit anschaut, dann ist der natürliche Zustand des Regierens die Autokratie, der Autoritarismus. Demokratie bedeutet, dass man ständig an ihr arbeiten muss. Sie bringt sowohl Verantwortung als auch Privilegien mit sich.

In Brüssel etwas mehr Bewegungsfreiheit als in Frankfurt

Was werden Sie in Frankfurt NICHT vermissen?
Das ist eine schwierige Frage. (überlegt) In meiner neuen Position als stellvertretender Missionschef bei unserer Vertretung bei der Europäischen Union werde ich weniger Personenschutz haben. Ich werde also ein bisschen mehr Freiheit haben. Wenn ich um elf Uhr nachts beschließe, mit meinem Hund spazieren zu gehen, dann kann ich das tun. Ich muss nicht mehr anrufen und sagen, kommt vorbei, damit wir spazieren gehen können. Das ist eine neue Erfahrung nach einer langen Zeit.

Info
Zur Person: Berufsdiplomat Norman Thatcher Scharpf war von August 2021 bis Sommer 2024 Generalkonsul Frankfurt verantwortlich für Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland.
 
2. Juli 2024, 14.37 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
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