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Startbahn West

Räumung eines Hüttendorfs

Vor 30 Jahren wurde das Hüttendorf geräumt, das gegen den Bau der Startbahn errichtet wurde. Wenige Wochen später schrieb der PflasterStrand gegen den absehbaren Zerfall der Bewegung an. Wir dokumentieren den Artikel.
Im Flörsheimer Wald konzentrierte sich Anfang der 80er-Jahre die Protestbewegung gegen die Startbahn West. Im Mai 1981 ordnete das Regierungspräsidium die Geländeräumung an, am 2. November 1981 war es dann soweit. Etliche hundert Polizisten vertrieben die Demonstranten von jenem Ort, an dem später die Startbahn West gebaut wurde. Die Räumung selbst verlief friedlich, jedoch kam es später immer wieder zu Versuchen, das Gelände erneut zu besetzen. Am 14. November demonstrierten weit über 120.000 Menschen gegen die Startbahn, 220.000 Unterschriften wurden für ein Volksbegehren gesammelt - das die SPD-Landesregierung allerdings ablehnte. Nach der Räumung des Hüttendorfes spaltete sich die Bewegung - insbesondere über die Frage der Gewaltfreiheit herrschte Uneinigkeit. Diese Entwicklungen greift folgender Artikel des damaligen PflasterStrand-Redakteurs Reinhard Mohr aus dem Dezember 1981 auf. Mohr warnt darin vor einem Nachlassen der Bewegung - aus heutiger Sicht mit wenig Erfolg. Am 12. April 1984 wurde die Startbahn 18 West eröffnet. Als am 2. November 1987 der Räumung gedacht wurde, kam es zur Ermordung zweier Polizisten, etliche Beamten wurden durch Schüsse verletzt - die Protestbewegung kam danach endgültig zum Stillstand.

Aber, wenn diese Demonstrationen im Rahmen der Legalität bleiben, so unterwerfen sie sich der institutionalisierten Gewalt, die autonom den Rahmen der Legalität bestimmt und ihn auf ein erstickendes Minimum einschränken kann, zum Beispiel indem sie Gesetze benutzt, wie unerlaubtes Betreten von Privateigentum oder unerlaubtes Betreten von Staatseigentum, Störung des Verkehrs, Störung der nächtlichen Ruhe usw. Hier kann von einem Augenblick zum andern was legal war, illegal werden, wenn eine völlig friedliche Demonstration die Nachtruhe stört oder willentlich oder unwillentlich Privateigentum betritt usw.

In dieser Situation scheinen Konfrontationen mit der Gewalt, mit der institutionalisierten Gewalt, unvermeidlich – es sei denn, daß die Opposition zum harmlosen Ritual wird, zur Beruhigung des Gewissens und zum Kronzeugen für die Rechte und Freiheiten im Rahmen des Bestehenden.
Dieser Konflikt der beiden Rechte, des Widerstandsrechts und der institutionalisierten Gewalt bringt die ständige Gefahr des Zusammenstoßes mit der Gewalt mit sich, es sei denn, daß das Recht der Befreiung dem Recht der bestehenden Ordnung geopfert wird, und daß, wie bisher in der Geschichte, die Zahl der von der Ordnung geforderten Opfer die der Revolution weiterhin übersteigt. Das aber bedeutet, daß die Predigt der prinzipiellen Gewaltlosigkeit die bestehende institutionalisierte Gewalt reproduziert.

Herbert Marcuse, Berlin 1967

Die Flughafen-Aktion hat Spaß gemacht - sie war befreiend für unsere angestaute Wut, ohne in eine allgemeine x-beliebige Straßenschlacht auszuarten. Alle konnten mitmachen, auch jene, die sich im engen Sinne zu den "Gewaltfreien" zählen. Die lähmende Handlungsfähigkeit wurde für ein paar Stunden durchbrochen, der rechtsstaatliche Popanz aus Zynismus und Gewalt einen langen Nachmittag aufs Kreuz gelegt.

Erst am Abend konnte wieder Normalität vermeldet werden: "Der Verkehr fließt wieder." Und dann die "offiziellen" Reaktionen ...! Man hätte meinen können, ein Arbeitgeberpräsident wäre entführt und ermordet worden! Darauf hatten sie gewartet, auf den gewaltfreien Terror, wie ihn Erich Helmensdorfer in der FAZ schon seit Wochen nennt.

Ein Hauptschuldiger wurde gefunden und sogleich als Oberterrorist präsentiert: Aschu. Schon in der Tagesschau wurde ein Kurzlebenslauf über ihn gesendet: Wie wird man Terrorist ... Pfarrer, Bürgermeister und andere Vertreter von Anti-Startbahn-Initiativen zeigten sich ebenfalls erschüttert, duckten sich unter dem Hagel der Gewaltvorwürfe.

Ja - was ist denn jetzt los? Unsereiner rafft sich nach der Samstagsdemo noch mal auf, macht eine Aktion, die im Konzept des gewaltfreien, aber aktiven Widerstands liegt, nämlich Blockaden, wehrt sich mal mit einem geworfenen Ast gegen heranstürmende BGS-Einheiten, während andere mit erhobenen Armen blutige Prügel beziehen, geht nach ein paar Stunden recht gelockert nach Hause - und sieht sich im Fernsehen von den eigenen Leuten im Stich gelassen.

Die Gewalt der Massenmedien hatte Wirkung gezeigt, doch um welche Gewalt ging es eigentlich?

Die Wut des Staatsapparates kommt nicht aus der Trauern um ein paar Fensterscheiben, Verkehrschilder oder umgebogene Leitplanken, sondern aus der Tatsache, daß wir für einige Stunden sein Gewaltmonopol, seine Ordnung, seinen Straßenverkehr, kur: sein Recht und seine Macht durchlöchert haben. Was ihr Recht bedroht oder bricht, ist Gewalt, ganz gleich, wie sie real beschaffen ist. Wenn wir nun diesen - ihren - Gewaltbegriff annehmen, uns aufzwingen lassen wie schuldbewußte Kinder, dann müssen wir in der Tat jeden weiteren Widerstand gegen die Startbahn West mit Ausnahme der Unterschriftensammlung und öffentlicher Aufklärung einstellen. Wenn "gewaltfrei" gleichbedeutend mit "wehrlos" ist, dann kann es in der Tat keinen "gewaltfreien" Widerstand geben.

Wir sind die ewigen moralischen Sieger. Das bleibt uns immer als letzter Trost gegen die ohnmächtige Wut angesichts der Maschinerie, die über uns hinwegrollt.

Das Konzept des gewaltfreien Widerstands ist solange mobilisierend, wie es neben der Verbreiterung des Protests auch eine qualitative Intensivierung bewirkt, solange also, wie ein Zuwachs an Quantität in Qualität umschlägt. Dies drückt sich aus in Aktionsphantasie, in einem sozialen Ungehorsam, der ansteckend wirkt, in alltäglichen Verweigerungen und in einer Entschlossenheit, der ein neues Selbstbewußtsein des Widerstands zugrunde liegt, ein Engagement, das auch soziale und politische Strukturen verändert.

Doch spätestens seit der Großdemo in Wiesbaden und erst recht seit der Flughafenblockade am darauffolgenden Sonntag stellt sich die Frage, welche Qualität und welche Richtung der Protest einschlagen wird.

Wie in Deutschland nicht anders zu erwarten, wird dieses grundlegende Problem an die sog. Gewaltfrage festgebunden. Die Gewaltfrage avanciert so zum Erpressungsmittel gegen jeden Widerstand, der nicht splitternackt vor der Herrschaft steht und stehen will. Statt die Legitimität und Legitimation der großhessischen Bürgerkriegspolitik anzugreifen, lassen sich viele unter dem inquisitorischen Druck der Massenmedien in die Sackgasse einer Legalitäts- und Gewaltdiskussion locken, die fast immer damit endet, daß der Protest wieder ein Stück Handlungsfähigkeit verliert. Selbst biblische Friedfertigkeit wird noch von denen als rechtswidriges und gewalttätiges Handeln ausgelegt, die uns ihr Gesetz des Handels aufzwingen wollen. Diese Gesetz sieht uns nur als Opfer bzw. ohnmächtige Zuschauer vor.

Dabei geht es heute nicht - und schon gar nicht bei der Startbahn West - um irgendwelche Revolutionen, sondern darum, ob der Widerstand seine eigene Dimension begreift und sich entsprechend offensiv, taktisch klug und solidarisch verhält.

Wenn die Protestbewegung gegen die Startbahn politische Auswirkungen bis Bonn hat, den Ministerpräsidenten demnächst auf ihr Gewissen lädt, dann kann sie nicht so unschuldig tun, als handele es sich bei ihr um eine bloße Ansammlung fanatischer Liebhaber des deutschen Waldes. Die Berufung auf die hessische Verfassung und das Volksbegehren alleine wird nicht ausreichen, um die verschiedensten Aspekte und Formen des Widerstands zu legitimieren, zu erklären und offensiv zu vertreten. Es geht um die Frage: Gewaltfreier Widerstand als demonstrativer Appell an die demokratische Öffentlichkeit oder Revolte gegen die institutionalisierte Gewalt? Dazwischen liegt - trotz aller Verwischungen - ein Graben, der übersprungen sein will. Es geht darum, daß die Qualität des Widerstandes, den die Landesregierung wohl erkennt (und gerade deshalb den brutalen Durchmarsch probt), nicht von uns selbst zurückgenommen wird, aus Angst vor der eigenen Courage, aus Fehleinschätzungen oder gar aus politischem Kalkül heraus.

Die täglichen Tiraden der FAZ markieren den wunden Punkt: Das Rechtsempfinden der Bürger hat schwer gelitten. Sie maßen sich an, über ihre Umwelt selbst bestimmen zu wollen und verletzen dabei bewußt geltende Rechtsvorschriften, leisten gar körperlichen Widerstand gegen die Rechtsordnung. Nun sollten wir aber wenigstens darin der FAZ recht geben: die Rechtsstaatlichkeit, die unsere Existenz und Freiheit bedroht, den Landfrieden der uns den Krieg beschert, jene demokratischen Mehrheiten, die gleichzeitig schweigend sind und immer das Sagen haben, kurz: die Ordnung, die uns am Leben hindert, können und wollen wir nicht akzeptieren.

Da sind wir ganz selbstbewußt. Daß ausgerechnet diejenigen, die immer zur Mehrheit gehören, uns den Vorwurf einer faschistischen Plebizitpolitik machen, die auf das "gesunde Rechtsempfinden" baut, sollte uns nicht weiter irritieren.

Was wir aber zugleich bekennen sollten: Das Verhältnis von Recht und Unrecht, Mehrheit und Monderheit ist immer und vor allem auch das Verhältnis von Herrschaft und Unterdrückung. Wenn wir also unser Recht behaupten - gegen "geltendes Recht" - dann versuchen wir unsere Interessen zu artikulieren und zu verteidigen, ohne uns auf schweigende Mehrheiten, Völker ohne Raum oder die jüngste Allensbach-Umfrage von Frau Prof. Dr. Noelle-Neumann zu berufen.

Seit Mitte November ist - großenteils selbst verschuldet - ein Bruch in der Anti-Startbahn-Bewegung eingetreten. Man hat sich die "Gewaltdiskussion" und die "Rechtsdiskussion" aufzwingen lassen, starrt wie gebannt auf "die Öffentlichkeit" und ihre angeblichen Sympathien, die beim ersten Stein schmelzen wie der Schnee in der Sonne (so haltbar ist diese Sympathie!) - auf dem BI-Plenum am 23. November in Groß-Gerau sagte ein Sprecher, daß die Presse "gezwungen" sei, fair zu berichten (o heilige Einfalt!), redet von der immer breiter werdenden "ungeheuren Breite" der Bewegung und steckt den Kopf in den Sandboden verbliebenen Waldes.

Angesichts der Ratlosigkeit und zum Teil selbst verschuldeten Ohnmacht klammert man sich an den Begriff der Gewaltfreiheit solange, bis er zum Kampfbegriff der Gegenseite wird. Die Dynamik jeder Protestbewegung muß zusammenbrechen, wenn es kein Vorwärts, keine Handlungsperspektive, keine Spontaneität und keine Militanz geben "darf", sondern nur wortgewaltige Rückzugsgefechte. Wer da die Offensive aus der Hand gibt, gerät in die Defensive, auch bei hunderttausenden von Sympathisanten - selbst der stellvertretende Chefredakteur des SPIEGEL plädiert gegen die Startbahn und für Unruhe als Bürgerpflicht. Machen soll er sie, der Depp!

Zum Verhältnis Bürger und Gewalt wäre noch viel zu sagen - vielleicht ein anderes Mal. Das BI-Plenum in Groß-Gerau jedenfalls hat nochmal deutlich gemacht, daß es nach vielen Mythen der Linken nun auch einen Mythos vom Bürger gibt. Das ständige Wiederaufbauen von Hütten, die immer wieder niedergewalzt werden, kommt mir vor wie der Versuch, die "große Politik" in die Knie zu zwingen, ohne die politischen Konsequenzen und gesellschaftlichen Dimensionen eines solchen "Eingriffs" in die Politik wahrhaben zu wollen.

Nachdem nun die Landesregierung die Durchführung des Volksbegehrens endgültig abgelehnt hat und der Staatsgerichtshof nicht anders entscheiden wird, ist das "demokratische Standbei" der Protestbewegung umgesäbelt.

Die Fragen nach dem Selbstverständnis des ökologischen Widerstandes stellen sich nun umso schärfer. Wenn ein Teil der Bewegung nach dem (Negativ-)Entscheid des Staatsgerichtshofes abschwenkt, während täglich hunderte von Bäumen fallen, dann wird das von mir bewußt gewählte empathische "wir" restlos zerfallen. Die verschiedenen sozialen und politischen Bestandteile des ökologischen Widerstands müssen sich dann darüber klar werden, welches Verhältnis sie zu dem "Wir-Protest" hatten, welche autonome Qualität sich darin äußerte und wie sie sich unter anderen Bedingungen - auch denen des vorläufigen Scheiterns - weiterentwickeln kann. Hier müßte ein neuer Artikel beginnen; hier muß die Diskussion in Frankfurt endlich anfangen.

Unser Foto stammt aus einer Video-Installation zu den Startbahn-West-Protesten, die im Jahr 2008 von Wiebke Grösch und Frank Metzger in Frankfurt gezeigt wurde.
 
2. November 2011, 11.57 Uhr
Reinhard Mohr
 
 
Fotogalerie:
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