Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs

Nach Blockupy

David Graeber: "Wir versuchen, Demokratie neu zu erfinden"

David Graeber ist eines der bekanntesten Gesichter der Occupy-Bewegung. Im Interview mit dem JOURNAL FRANKFURT spricht er über die Ziele Occupys, über Blockupy und über den ehemaligen Linken Barack Obama.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Graeber, war es eigentlich bloßer Zufall, dass Sie genau während der Blockupy-Tage in Frankfurt Halt machten?
David Graeber: Nicht völlig, nein. Ich hatte Frankfurt natürlich auf meinem Reiseplan, musste aber auch nach Cambridge, weil ich dort am 16. Mai die „Strathern Lecture“ halten sollte. Das ist eigentlich ein sehr gutes Beispiel für die zwei Welten, in denen ich mich bewege. Ich mühte mich, einen Weg zu finden, dort zu sein und rechtzeitig für Blockupy nach Frankfurt zu kommen. Es bedurfte vieler Verhandlungen, hat aber schließlich geklappt.

In Ihrem Buch „Inside Occupy“ schreiben Sie, dass eine der ersten Demonstrationen von Occupy Wall Street an einem Samstag stattfand. Sie stellten den Sinn in Frage, weil die Börse ja samstags geschlossen ist. War es demnach auch ein Fehler der Blockupy-Aktivisten, ihre große Demonstration an einem Samstag anzusetzen?
Na, aber es hatte doch Sinn. Am Freitag sollte die EZB blockiert werden, der Samstag stand dann all jenen offen, die das Risiko nicht eingehen konnten an einer solchen Aktion teilzunehmen.

Sie hatten von Blockupy schon im Vorhinein gehört? Erregt das international Aufmerksamkeit?
Oh ja. Wir stehen mit allen Occupy-Aktionen rund um die Welt in Verbindung. Natürlich nicht ich persönlich, aber wir sind gut vernetzt.

Sie betonen immer wieder die horizontale Struktur von Occupy. Sie wollen keine Sprecher der Bewegung, keine Gesichter, keine Anführer …
Das stimmt nicht ganz, wir haben ganz viele Gesichter, die für Occupy stehen. Ich werde oft gefragt, ob ich einer der Anführer von Occupy bin, und antworte stets: Ja, ich und ungefähr zwei bis drei Millionen andere.

Aber Sie sind derjenige, der interviewt wird, und ungefähr zwei Millionen andere eben nicht …
Schon, aber viele könnten doch interviewt werden, wenn Sie es wollten. Aber Sie haben schon Recht und, um ganz ehrlich zu sein, ist es schon ein Problem, weil die Medien ihre eigene Dynamik haben. Sie versuchen Sprecher zu produzieren. Die Gefahr besteht darin, dass Sprecher von außen kreiert werden, das eine Struktur, die wir nicht haben wollen, hereingetragen wird. Wir hatten auch Leute, die gewillt waren, diese Rolle zu übernehmen, und die dann schwer zu stoppen waren. Es gab da diesen einen Typen, der sehr charismatisch war. Er hüpfte ständig vor den Kameras rum und gab Statements ab, die dann als Stimme Occupys wahrgenommen wurden. An diesem Punkt müssen wir klar machen, dass solche Typen eben nicht für die Bewegung sprechen, sondern nur für sich selbst.

Warum ist es problematisch charismatische Personen zu haben, die für Occupy sprechen?
Ist es gar nicht. Wir kommunizieren ja ständig nach außen. Wir müssen nur aufpassen, dass wir eine Art Membran zwischen uns und den Medien aufbauen, als Schutz quasi. Die Gefahr bei relativ unorganisierten Gruppen, wie wir eine sind, ist immer, dass man in die Welt des Gegenübers hineingezogen wird.

Warum glauben Sie, dass die Welt die Occupy-Bewegung braucht und was haben Sie bisher erreicht?
Ich denke, wir haben sehr viel erreicht. Es ist ein bisschen kompliziert, weil wir auf zwei verschiedenen Ebenen operieren: Die erste ist etwas langwieriger. Wir versuchen Demokratie neu zu erfinden, indem wir kleineren Gruppen Demokratie leben lassen, indem sie Probleme gemeinsam lösen, die normalerweise für sie gelöst werden. Die USA sind ein merkwürdiges Land: Amerikaner denken, sie lebten in der fantastischsten Demokratie der Welt. Es ist ein Teil ihrer nationalen Identität. Aber wenn Sie einen Amerikaner fragen, wann er sich das letzte Mal mit zehn anderen Menschen hingesetzt hat, und mit ihnen eine demokratische Entscheidung getroffen hat, besteht eine gute Chance, dass die Antwort „Noch nie“ lautet … oder vielleicht, „als wir eine Pizza bestellten“.

Über die Wahl des Belags?
Richtig! Mit Sardellen oder ohne? Das ist unsere Einsteiger-Aufgabe: Einigt euch erst einmal, was auf die Pizza drauf soll und dann gibt es eine schwerere Aufgabe. (lacht) Also wir versuchen langsam, Schritt für Schritt, eine demokratische Kultur zu schaffen. Ultimativ ist eine Revolution eine Veränderung des „common sense“. Wir streben ein Umdenken an über die Definition, was „Politik“ eigentlich ist. Gleichzeitig, weil viele Amerikaner momentan in einer tiefen Krise stecken, müssen wir auch versuchen, direkt gegen diese Krisen zu arbeiten. Wir wollen keine Politik machen, weil wir die derzeitigen politischen Institutionen ablehnen, aber wir versuchen Einfluss zu nehmen, indem wir dem System die Legitimität derart entziehen, dass die Entscheidungsträger gar nicht anders können, als selbst einzugreifen. Und wir haben Einfluss genommen. Die US-Notenbank entwarf etwa einen Gesetzesentwurf, der für eine Reduzierung der Schulden warb. Einige wichtige Leute haben mir persönlich bestätigt, dass Occupy einen großen Einfluss darauf hatte. Wir haben Veränderungen auf den Weg gebracht und zwar ohne irgendwelche Positionspapiere und Lobby-Arbeit, und das in einem System, das zutiefst korrupt ist und in dem einzig Geld zählt. Das eine Prozent, gegen das wir uns stellen, sind ja nicht die Reichen per se. Es sind jene Reichen, die ihr Geld in Macht umwandeln können. 95 Prozent der Wahlkampfspenden in den Vereinigten Staaten kommen von einem Prozent der Bevölkerung. Das ist ein echtes Problem.

Sie wollen auf lange Sicht gesehen den „common sense“ ändern. Wie lange ist denn die lange Sicht wirklich?
Wie kann man das beantworten?

Ich kann das nicht, hoffe aber, dass Sie es können …
Irgendwo zwischen 3 und 50 Jahren. Sag' ich jetzt einfach Mal.

Die Strategie, den „gesunden Menschenverstand“ zu revolutionieren, erinnert stark an die Gefängnishefte von Antonio Gramsci. Haben sie die gelesen?
Nicht alles, aber vieles davon, ja.

Ist das nicht ein ähnliches Konzept? Es gibt eine Hegemonie des Staates, einen sogenannten „gesunden Menschenverstand“, der aufgebrochen werden muss?

Ja, durchaus. Obwohl Gramscis Bemühungen zu einer Politik führten, die im Endeffekt selbstzerstörerisch war. Dennoch findet sich bei Gramsci eine tiefschürfende Erkenntnis, nämlich die, langsam Allianzen zu gründen, eine politische Partei zu gründen … obwohl letzteres ja nicht so gut geklappt hat. (lacht) Aber wir versuchen etwas Ähnliches zu machen, in dem uns eigenen Weg. Eine interessante Sache an Occupy ist, dass unsere Allianzen sich verändert haben. Am Anfang waren wir mit einigen liberalen Gruppen stark vernetzt, die der demokratischen Partei nahestehen. Die waren sehr engagiert und bescherten uns teils überragende Medienberichte. Ich bin ja schon einige Zeit aktiv, und war zunächst schockiert: Eine solche flächendeckende gute Berichterstattung hatte ich noch nie gesehen. Normalerweise ignorieren uns die Medien einfach. Also überlegte ich, warum wir plötzlich so gut dastanden, und kam zum Schluss, dass es mit den liberalen Gruppen zusammenhängen musste. Das Problem war, dass sie uns zu einer Art linken „Tea Party“-Bewegung machen wollten, zu einem linken Arm der demokratischen Partei. Das würde aber nie passieren. Als die Räumungen begannen, zerbrachen die Allianzen. Das Bündnis zwischen Linken und Liberalen ist nichts Neues. Der Deal war eigentlich immer: Wir zündeln an der linken Front, was euch moderat erscheinen lässt, im Gegenzug sorgt ihr dafür, dass wir nicht ins Gefängnis kommen. Aber dieses Mal hielten sie ihren Teil des Versprechens irgendwie nicht. (lacht) Das lag wohl daran, dass die meisten Bürgermeister in den Städten, in denen die Camps geräumt wurden, Demokraten waren. Jedenfalls veränderte sich der Fokus unserer Zusammenarbeit dadurch. Wir arbeiten verstärkt mit Rechtgruppen, Gemeindegruppen zusammen und versuchen, unsere Aktivitäten auszubauen. Wir okkupieren inzwischen sogar Häuser und Farmen. In New York sind es derzeit acht Farmen, die wir bewirtschaften und die Bewegung damit versorgen.

Kann denn ein Umdenken in der Bevölkerung nicht auch von Politikern forciert werden?

Mir fällt zumindest kein Beispiel ein, indem es einen solchen Politiker gab. Ihnen?

Spontan nicht. In einem Interview mit der Boston Review sagten Sie aber, dass Sie in Barack Obama tatsächlich einige Hoffnung steckten, dass er neue Wege gehen könnte.

Zu der Zeit als er im Hyde Park war, das weiß ich, weil ich zu der Zeit auch dort war, Obama war damals wirklich ein Linker. Er hing sehr eng mit den demokratischen Sozialisten zusammen. Also dachte ich, es besteht zumindest die Möglichkeit, dass er wirklich für eine linke Politik eintreten könnte. Aber da lag ich wohl falsch.

Werden Sie ihn bei der nächsten Wahl trotzdem wählen?

Ich bezweifle, dass ich überhaupt wählen werde.

Ist Nicht-Wählen denn die Antwort?
Ich sage Leuten nicht, was sie zu tun oder zu lassen haben.

Mehr zu Occupy, Blockupy und David Graeber lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des JOURNAL FRANKFURT Nummer 12/2012
 
22. Mai 2012, 10.45 Uhr
Interview: Gerald Schäfer
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Politik
Der Einzelhandel steckt in einer Krise und es benötigt neue Konzepte. Die Wirtschaftsförderung Frankfurt ruft dazu auf, kreative Lösungen gegen Leerstände in der Innenstadt zu entwickeln.
Text: Lukas Mezler / Foto: Die Zeil © Adobestock/EKH-Pictures
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
19. Oktober 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • The Ghost Inside
    Schlachthof | 20.00 Uhr
  • Mighty Oaks
    Staatstheater Darmstadt | 20.00 Uhr
  • The Slags
    Dreikönigskeller | 20.00 Uhr
Nightlife
  • 30 Plus Party
    Südbahnhof | 21.00 Uhr
  • KukiDance
    Lilium | 21.00 Uhr
  • Gibson loves Saturdays
    Gibson | 23.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • Ensemble Modern
    Alte Oper | 20.00 Uhr
  • Making Impressions and other Failures
    Landungsbrücken | 20.00 Uhr
  • Hansjacob Staemmler
    St. Thomas | 19.30 Uhr
Theater / Literatur
  • Wilhelm Tell: Im Reich des Schmerzes
    Staatstheater Darmstadt | 19.30 Uhr
  • Wer kocht, schießt nicht
    Stalburg Theater | 20.00 Uhr
  • Ein Käfig voller Narren
    Kellertheater | 20.30 Uhr
Kunst
  • 100 Jahre Sport- und Stadtgeschichte live erleben
    Eintracht Frankfurt Museum | 10.00 Uhr
  • Alison Knowles
    Museum Wiesbaden | 10.00 Uhr
  • Bruder Moenus
    Stoltze-Museum der Frankfurter Sparkasse | 10.00 Uhr
Kinder
  • Pinocchio
    Papageno-Musiktheater am Palmengarten | 16.00 Uhr
  • 1. Teddybärenkonzert
    Staatstheater Darmstadt | 10.00 Uhr
  • Cendrillon de Joël Pommerat
    Internationales Theater Frankfurt | 20.00 Uhr
und sonst
  • Frankfurter Buchmesse
    Messe Frankfurt | 09.00 Uhr
  • Kronberger Herbstfrüchtefest
    Burg Kronberg | 13.00 Uhr
  • Apfelfest
    Freilichtmuseum Hessenpark | 11.00 Uhr
Freie Stellen