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Interview

Occupy - wie alles begann …

Im Oktober 2011 begann die Geschichte von Occupy Frankfurt. Wolfram Siener und Colin B. waren dabei. Wir dokumentieren hier ein Interview mit den beiden Aktivisten aus den Anfangstagen der Bewegung.
JOURNAL FRANKFURT: Was haben Sie eigentlich für ein Problem mit Bankern und Politikern?
Wolfram Siener: Die aktuellen Politiker machen keine Politik für das Volk, sondern für die Banken, die als Geldgeber für die verschuldeten Staaten fungieren sollen. Für die muss Politik gemacht werden, sonst wird der Geldhahn zugedreht. Zweitens wird Politik für die großen Firmen und Aktiengesellschaften gemacht, denn an denen hängen unsere Jobs, unsere Arbeitsplätze. Die sind allerdings nur an ihren Profiten interessiert, nicht an uns als Menschen. Und drittens wird Politik für die Aktienmärkte und Ratingagenturen gemacht. Damit sind wir vielleicht sogar beim größten Problem. Denn die Aktienmärkte erlauben es, dass man Geld heutzutage erwirtschaften kann, indem man Leute leiden lässt. Gegen diese offensichtliche Ungerechtigkeit gehen wir vor.

Wenn die Ungerechtigkeit doch so offensichtlich ist, warum gehen aus Ihrer Sicht nicht mehr Menschen dagegen vor?
Siener: Das ist ein bisschen wie ein Fall von Inzest auf dem Land. Alle wissen es, alle schauen zu, aber keiner unternimmt etwas dagegen. Das System, das wir heute haben, hatte einfach schon seit dem Mittelalter Zeit zu wachsen. Die Menschen können sich gar nicht mehr vorstellen, dass eine Gesellschaft auch anders funktionieren kann. Deshalb wollen wir sie auf das aufmerksam machen, was da draußen vor sich geht. Wenn die Menschen wirklich informiert sind, dann werden sie ganz von selbst aktiv werden. Dann sind wir an einem Punkt, an dem sich die Politik der Sache stellen muss.

Sie wollen Politik machen.
Siener: Sagen wir es einmal so: Haben Aktienmärkte eine Verantwortung gegenüber den Menschen? Haben Unternehmen eine Verantwortung? Haben Ratingagenturen eine Verantwortung demgegenüber, was passiert, wenn sie ein Land auf Stufe B+ herabstufen? Haben sie alle nicht. Verantwortung sollte nur die Politik haben.

Was Sie bezweifeln?
Colin B.: Die Politiker haben die eigentliche Macht längst an Unternehmen und Ratingagenturen abgegeben. Wenn das weiter so bleibt, dass die Menschen, die die Macht haben, keine Verantwortung gegenüber dem Wohlergehen der Bevölkerung haben, dann wird sich das kapitalistische System in Zukunft noch weiter in den Abgrund stürzen. Es ist jetzt schon so, dass an den Wirtschaftskrisen ein paar wenige Menschen unfassbar viel Geld verdienen, während 50 Prozent der Weltbevölkerung von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen. Hier in Europa geht es uns gut und wir merken nichts davon. Aber unser Wohlstand kommt von den Menschen in den weniger entwickelten Ländern, wo Menschen unter den miesesten Bedingungen schuften.

Wie gehen Sie konkret gegen ein System vor, das sich seit Jahrhunderten etabliert hat?
Siener: Der Trugschluss ist, zu denken, dass man alles umstellen müsste. Wir haben uns so tief in die Scheiße geritten, dass wir aus dem jetzigen System nicht mehr herauskommen. Was viele in den USA wollen – und das kritisiere ich auch ganz offen an der Bewegung in Amerika – ist, dass sie das komplette System innerhalb von ein paar Monaten umkrempeln wollen. Das wird nicht funktionieren.

Ist der Banker Ihr Feindbild?
B.: Nicht unbedingt. Man kann ihn nicht beschimpfen, wenn er seine eigenen Interessen verfolgt und dabei übersieht, dass er ein ganzes Land zerstören kann. Das ganze System muss überdacht werden.
Siener: Man darf die Menschen nicht verurteilen, weil sie alle in dieses System hineingewachsen sind. Dafür existiert es schon zu lange. Wir wollen auch nicht die Banker ausschließen, denn ich denke, dass die Leute bei der Frankfurter Volksbank genauso unter diesem System leiden wie alle anderen auch.

Jetzt planen Sie jeden Samstag Demonstrationen. Was wollen Sie damit erreichen?
B.: Wir wollen Aufmerksamkeit. Wir wollen, dass etwas geändert wird. Aber wie die Veränderung vonstatten gehen soll, das muss dann noch entschieden werden.

Sie wollen nur auf Defizite aufmerksam machen, aber keine Lösungsvorschläge aufzeigen?
Siener: Wir sind auf der Suche nach drängenden Fragen unserer Zeit. Daran ist nichts Falsches. Dazu kommt, dass sich durch das Internet eine neue Form der Demokratie entwickelt hat. Deswegen ist die Politik nicht unser Problem. Wir haben alles, was wir brauchen. Aber unsere Suche nach Antworten auf Fragen wie „Warum betrifft mich der Aktienmarkt, wenn ich keine einzige Aktie habe?“, diese Suche deutet auf eines hin: Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht mehr tragbar ist, weil wir auf Kosten von armen Ländern leben.

Dagegen haben schon ganz andere Generationen mobil gemacht. Kommt Ihnen das nicht wie Kampf gegen Windmühlen vor?
Siener: Die Frage ist sicherlich, wie man ein System verändern kann, das sich über 600 Jahre entwickelt hat. Ein System, in dem wir so tief drin sind, bei dem alle Staaten verschuldet sind. Wären wir bei der Französischen Revolution, könnten wir die Bastille stürmen. Dann hätten wir ein Symbol. Wie aber will man ein Gebäude stürmen, das nicht existiert? Es geht um die Macht des Geldes. Das ist ein Kampf, den kann man nur über Druck ausüben. Das ist ein Informationskrieg. Und er wird in dem Moment gewalttätig werden, indem die Leute begreifen: Wir kämpfen wirklich gegen Windmühlen.

Dann fahren Sie mit Panzern vor?
Siener: Nein, dann geht das System den Bach herunter – und wir mit ihm. Wie der britische Premierminister so schön sagte: Die Wirtschaft in der Eurozone könnte innerhalb weniger Wochen zusammenbrechen. Wir reden hier also nicht mehr davon: Es könnte sein, dass wir in ein paar Jahren Probleme haben. Nein, wir stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Das muss uns klar sein.

Dieses Interview erschien zuerst im Journal Frankfurt vom 26. Oktober 2011.
 
7. August 2012, 11.13 Uhr
Interview: Timo Geißel, Julia Lorenz
 
 
Fotogalerie: Occupy Frankfurt
 
 
 
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