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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Förderverein

Die Abschaffung der Freizügigkeit für Roma

Am Mittwoch wird das Bundeskabinett über das Hilfspaket für Kommunen entscheiden, in denen Flüchtlinge aus Osteuropa leben. Es geht, so schreibt Joachim Brenner in einem Gastbeitrag, eigentlich um Roma-Familien.
Den Roma-Familien soll gemäß gewisser Vorgaben die Freizügigkeit, d. h. das Grundrecht, welches nicht nur die EU-Osterweiterung, sondern den gesamten europäischen Einigungsprozess bedingt und nach dessen Vereinbarung vor allem die deutsche Ökonomie glänzende Geschäfte macht, entzogen werden.

Geplant sind Sanktionen wie härtere Strafen, Ausreisepflicht, Ausweisungen mit Einreisesperren und höhere Zugangsvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Die Zielrichtung ist klar: Wer nützt, kann bleiben. Alle anderen sollen schnellstmöglich verschwinden. Freier Personen-, Dienstleistungs- und Warenverkehr gilt nicht für jeden und alles.

Formulierungen wie „schwer integrierbare Familien“, „Sozialmissbrauch“ oder „Rechtsmissbrauch“ sind bekannte Synonyme. Die freigesetzte Assoziationskette ist eingeübt und funktioniert hervorragend. Armut wird nicht mehr auf das zurückgeführt, was sie verursacht, nämlich Ausgrenzung, Chancenlosigkeit, Gewalt und Rassismus. In der medialen und politischen Darstellung wird auf Versagen, individuelles Unvermögen oder böswillige Gegenkonzepte verwiesen. Den Betrachtern präsentiert man gleichzeitig Bilder von kinderreichen Familien aus Rumänien und Bulgarien mit dunkler Hautfarbe und schwarzen Haaren. Differenzierungsvermögen, die Wahrung der persönlichen Integrität, seriöse Ursachenforschung oder schlichtweg Humanität bleiben auf der Strecke. Der Sündenbock ist gefunden und heißt erneut Roma.

Keine Rede von den Verelendungsprozessen in Osteuropa, von Menschenrechtsverletzungen, Pogromen und dem offenen Hass. Der Ausschluss von Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe spielt keine Rolle. Die rassistischen Morde in Ungarn, Ausschreitungen gegenüber Roma-Siedlungen, Apartheitsprogramme, strukturelle Benachteiligungen und Ghettoisierung werden als Grund für Flucht und Migration nicht zur Kenntnis genommen. In der allgemeinen Hysterie über „Flut“, „Welle“ und „Ströme“ wird gerne vergessen, dass nur Wenige über Mittel und Wege für die Reise in den Westen verfügen. Auch die Verkettung von externen Sparprogrammen als Auflage für die EU-Neulinge und die daraus folgende breite Verarmung innerhalb der Bevölkerung bleibt ausgeblendet.

Roma sind der Mehrheitsbevölkerung ein Dorn im Auge. Die seit Jahrhunderten vorherrschende Betrachtungsweise, wonach die Betroffenen an ihrer desolaten Situation selber Schuld sind, dominiert die vermeintlich erforderlichen Gegenstrategien. Ihre Anwesenheit in den Städten ist ebenso wie ihre Armut für die Mehrheit reine Provokation. Die Konfrontation mit der Kehrseite von Wohlstand initiiert nicht Verständnis oder gar Verantwortung angesichts historischer Verfolgung und Vernichtung. Sie führt nicht zum erwünschten, wenn auch geringen Solidaritätseffekt wie bei Flüchtlingen aus Afrika und Asien.

Roma begegnet man traditionell anders. Sie werden so genau denunziert, dass zur Identifikation ihr Name nicht mehr erforderlich ist. Der Bezug von Kindergeld, die erfolglose Arbeitssuche, Betteln, Obdachlosigkeit, ein Leben vom Flaschensammeln, unbehandelte schwere chronische Krankheiten und die Behausung in überbelegten Wohnungen animiert ordnungspolitisches Handeln flankiert von einschlägiger parteipolitischer Propaganda.

Bisher hieß es, dass der Entzug der Freizügigkeit einzig bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten sei – die Kriterien waren scheinbar hoch gesetzt. Seit geraumer Zeit gilt nun Arbeitslosigkeit, Aufstockung mit Hartz 4 Leistungen und Schwarzarbeit als Handhabe, den weiteren Aufenthalt zu verweigern. Es ist bemerkenswert, wie schnell der Gefährdungsbegriff bezüglich öffentlicher Sicherheit für die Kontrolle und Kriminalisierung von Roma instrumentalisierbar ist.

Man vergegenwärtige sich die gesellschaftliche Aufregung wegen der Preisgabe von Grundrechten, ginge es nicht um Roma aus Osteuropa, sondern um arbeitslose, aufstockende und an der Steuer vorbei handelnde brave Bundesbürger. Selbst Warnungen aus den eigenen Reihen, dass es sich bei den Vorwürfen um Vermutungen handele, denen enorme wirtschaftliche Gewinne gegenüberstehen und dass die Errungenschaft der Freizügigkeit doch nicht einfach veräußert werden könne, bleiben angesichts der populistischen Maßgabe, erfolgreich gegen Roma zu mobilisieren, Beiwerk.

Politik, Ökonomie und Gesellschaft sind sich einig in der konzertierten Aktion. Die Verabschiedung des Pakets am 27. August, das die Ärmsten der Armen vertreibt, das kosmetische Reparaturen für wenige vorschlägt und ansonsten zur Eingliederung brauchbarer Arbeitskräfte dient, wird dies einmal mehr zeigen. Die Roma verbleiben weiter in existentieller Not, sind Ziele rassistischer Angriffe und das Elend in den Städten und Herkunftsländern verschärft sich.

Allein der europäische Gerichtshof – wie zu erwarten ist – kassiert den Beschluss, weil er gegen das Gleichheitsprinzip, das Diskriminierungsverbot und den grundgesetzlich verbrieften Schutz der Menschenwürde verstößt.

Joachim Brenner ist Geschäftsführer des Fördervereins Roma, der in dre Frankfurter Kaiserstraße seinen Sitz hat.
 
27. August 2014, 11.06 Uhr
red
 
 
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