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Foto: Rafael Herlich
Foto: Rafael Herlich

Zeitzeugentheater

Der Schmerz der Schoah

Am gestrigen Sonntag fand das Zeitzeugentheater im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum statt. Zeitzeug*innen erzählten dabei von ihren Erfahrungen während der NS-Zeit, die parallel von Schüler*innen in einem bewegenden Theaterstück aufgearbeitet wurden.
Die Sozialpädagogin Jutta Josepovici stieß auf das Projekt des Zeitzeugentheaters in Israel. Dort wurde es über 60 Mal an unterschiedlichen Schulen aufgeführt, teilweise mit landesweit bekannten Schauspieler*innen. Die Idee dahinter ist, dass Menschen ihre Erlebnisse während des Holocaust und der NS-Zeit erzählen und Jugendliche sie in Form eines Theaterstücks bildhaft darstellen. Vor einigen Jahren kam das Projekt dann auch nach Deutschland. Am gestrigen Sonntag im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum in Frankfurt führten neun Schülerinnen und Schüler und sechs Zeitzeuginnen und Zeitzeugen unter der Regie und künstlerischen Leitung von Svetlana Fourer ihre Version des Stücks in einem vollbesetzten Festsaal auf. „Mit dem Stück können wir den Schrecken der Schoah an die kommenden Generationen weitergeben“, sagte Ricarda Theiss, die Projektkoordinatorin der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. (ZWST).

Geschichten, die nachhallen

Die Zeitzeug*innen Liesel Binzer, Aviva Goldschmidt, Abraham Rosen, Alexander Stimmer, Eva Szepesi und Dora Zinger sitzen an Tischen im hinteren Teil der Bühne, im vorderen Teil spielen die Schülerinnen und Schüler – eine Art unsichtbarer Übergang zwischen Realität und Theaterstück, zwischen den Zeitzeugen im hinteren Teil der Bühne und den jungen Schauspielern und Schauspielerinnen, die im Vordergrund stehen und die Vergangenheit versinnbildlichen. Gegliedert ist das Stück in sechs Teile, in denen jede Zeitzeugin und der jeder Zeitzeuge seine Geschichte einzeln erzählt und die Schülerinnen und Schüler spielen das erlebte vor. So floh Eva Szepesi mit ihrer Tante von Ungarn in die Slowakei und wurde 1944 in einem Viehwagon nach Auschwitz gebracht. Sie überlebte nur, weil man sie bereits für tot hielt und sie eine Woche lang ohne Essen und Trinken zwischen toten Menschen ausharrte. Ihre Mutter, die ihr versprach, dass sie sich bald wiedersehen würden, entdeckte sie 70 Jahre später bei einem Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz auf einer Gedenktafel. Eva Szepesi liest ihre Geschichte vor, ihre Worte hallen durch den Saal, kurz darauf beginnen die schwarz gekleideten Schauspielerinnen und Schauspieler die Szenen nachzuspielen, die in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer bereits nach dem Vorlesen der Geschichte einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Die Szenen sind minimalistisch gehalten – gerade diese Einfachheit geben einen gewissen Nachdruck: kauernde Haltungen, Menschen, die sich umarmen und einen in sich verschlungen Haufen bilden, weil sonst nichts mehr übrig geblieben zu sein scheint.

Dora Zinger erzählt davon, dass sie ihre Mutter nie kennenlernte und ihre Tante jahrelang für ihre Mutter hielt. Erst 1985, als ihr Vater starb, fand sie in seinem Jacket ein Bild ihrer Mutter – Doras erstes und einziges Bild von ihr. Aviva Goldschmidt erzählt davon, wie sie sich gemeinsam mit ihrer Mutter drei Wochen lang hinter einem Schrank versteckte, die beiden Schauspielerinnen halten sich dabei an den Armen, wiegen sich hin und her und flüstern sich immer wieder zu: „Nicht weinen, nicht lachen, nur flüstern. Nicht weinen, nicht lachen, nur flüstern.“ Abraham Rosen ist der einzige Mann in der Runde der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und auch der einzige, der das Nazi-Regime in Deutschland nicht erlebt musste. Gemeinsam mit seiner Familie wanderte er bereits 1938 nach Israel aus, nachdem seine Großmutter die Einreisepapiere bei der Einwanderungsbehörde erstreikt hatte. „Ich habe das Glück gehabt, den Holocaust nicht erlebt zu haben. Meine Geschichte ist im Vergleich zu den anderen Erzählungen verblast“, sagt er im Nachhinein.

Alexandra Stimmer rettete als junges Mädchen ihr gesamtes Wohnhaus vor der Erschießung durch die ukrainische Polizei, da sie kurz vorher so laut zu schreien und weinen begann, dass die Polizei Angst hatte, die Kontrolle zu verlieren und das Haus zurückstellte. Daraufhin nannten sie die Bewohnerinnen und Bewohner „der Engel“. Liesel Binzer lebte mit ihrer Familie vier Jahre lang im sogenannten Judenhaus in Münster bis sie 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht wurden und schließlich 1945 von der Roten Armee befreit wurden. Am Ende jeder Geschichte versammeln sich die Schülerinnen und Schüler hinter dem Zeitzeugen oder der Zeitzeugin, legen ihm oder ihr die Hand auf die Schulter und singen gemeinsam jüdische Lieder, die vom Komponisten Elisha Kaminer am Keyboard begleitet werden.

Nach der Aufführung soll eine Podiumsdiskussion mit den Zeitzeug*innen, Schüler*innen und denjenigen, die im Hintergrund am Film beteiligt waren, stattfinden. Doch die Stimmung nach intensiver Unterhaltung scheint nicht so richtig aufzukommen. Der Leiter des Filmteams Nathaniel Knop, der das Theaterstück an diesem Sonntag aufzeichnete und die Theatergruppe während ihrer Proben begleitete, sagte: „Ich musste bei jeder Geschichte mit den Tränen kämpfen. Ich bin froh, dass ich dabei sein durfte.“
Aus dem Publikum kommen keine Fragen, nur Aussagen zu dem, was sie gerade auf der Bühne gesehen haben. „Ich hoffe, dass es nicht das Ende des Projekts ist, weil es mehr Menschen sehen müssen“, sagt die Schülerin Isabell Macher. Eine Zeitzeugin fasst zusammen:„Die Kinder haben unseren Schmerz gespürt.“
 
3. Februar 2020, 11.40 Uhr
Johanna Wendel
 
 
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