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Harlem am Main
Eine Art musikalische Heimatkunde-Stunde
Die Jazzmusiker Jonas Lohse und Corinna Danzer haben mit „Harlem am Main“ eine audiovisuelle Jazz-Performance erdacht, die sie mit Band, Erzählerin und eigens kreierten Illustrationen in die Schulen bringen. Das JOURNAL FRANKFURT sprach mit Saxofonistin Corinna Danzer.
JOURNAL FRANKFURT: Wie kam es zu der Idee, eine audiovisuelle Jazz-Performance zu realisieren?
Corinna Danzer: Die Jazzhistorie in Frankfurt ist ja gespickt mit vielen kleinen Geschichten und Anekdoten. Irgendwann stellten wir fest, dass diese Stories auch für Leute interessant sind, die sich (noch) nicht für Jazz interessieren. Und wir fanden auch, dass diese Geschichten helfen können, Jazz besser zu verstehen. Aber wenn man sich mit Jazzgeschichte beschäftigt, will man ja vielleicht auch wissen: Wie sah das eigentlich aus, wo die damals immer aufgetreten sind? Und wie hat es geklungen? Und wie war das genau? So ging es uns zumindest. Also begannen wir, Material zu sammeln und zu recherchieren. Und irgendwann wollten wir das alles dann natürlich auch irgendwie Publikum zugänglich machen. Und da wir ja Jazzmusiker sind, haben wir nach Wegen gesucht, Text, Bild und Musik auf der Bühne zu verbinden.
Ihr nennt es in eurem Papier ein Musikvermittlungsprojekt. Aber die Musik, die ihr da vermittelt, hat ja einen politischen Hintergrund ... Ihr vermittelt also weit mehr ...
Der politische Hintergrund ist bei Jazzmusik ja per se sehr stark ausgeprägt. Dadurch, dass wir uns mit unserer Geschichte auf Frankfurt beziehen, also Orte, die die Frankfurter Schüler ja kennen, werden die Zusammenhänge aber greifbarer und konkreter – hoffen wir. Die Aufführungen in Schulen sind also als Ergänzung für den Musik- aber auch den Geschichtsunterricht gedacht. So eine Art musikalische Heimatkunde-Stunde.
Ihr habt – neben Erwachsenen – Jugendliche ab der 9. Klasse als Adressaten genannt. Ist „Harlem am Main" vor allem ein Schul- und dabei ein didaktisches Projekt?
Nein. Wir haben das so flexibel konzipiert, dass „Harlem am Main" beides sein kann: als Abendvorstellung besteht eine Aufführung aus zwei Sets mit Pause, und richtet sich an erwachsenes Publikum. Die Vormittags-Aufführungen in Schulen sind auf eine Stunde gestrafft. Wir wollen dem Publikum Inhalte vermitteln aber auf unterhaltsame Weise, ohne zu zu dozieren, egal ob es eine Schulveranstaltung oder ein Jazzkonzert ist. Wir wollen das Publikum für die Musik, aber auch für die Geschichte hinter der Musik interessieren.
Ich musste bei eurer Widmung an Emil, Albert, Horst und Carlo natürlich sofort am Emils Gesprächkonzert-Projekt „Swing tanzen verboten" denken. War das eine Inspirationsquelle? Übernehmt ihr jetzt sozusagen die Rolle des verstorbenen Zeitzeugens?
Nein, Emil können wir nicht ersetzen, das wäre anmaßend. Natürlich weiß man als Frankfurter Jazzmusiker, dass da ein paar Leute schon unter den Nazis angefangen hatten, Jazz zu spielen. Als Carlo früher hin und wieder in den Jazzkeller kam, wenn wir da spielten, wussten wir zwar auch, wer das ist. Dass dieser Stammgast da an der Theke derjenige ist, der den Keller mal gegründet hatte und früher auch mal selbst Trompeter war – aber wie spannend diese Historie wirklich ist, haben wir erst viel später wirklich begriffen. Mit Emil bin ich ja auch einige Male als Gast aufgetreten, und habe mit ihm natürlich auch über seine Erlebnisse gesprochen. Als wir Emil fragten, ob er uns bei unserem Projekt helfen möchte, antworte er ohne zu zögern: wenn’s gegen den Faschismus ist, bin ich natürlich dabei. Wir haben dann bei Erdbeerkuchen in seinem Garten gesessen und ihn ausgefragt.
Ihr erzählt die Geschichte des Frankfurter Swings, gerade auch im Nationalsozialismus. Was vielen – zumal wenn sie sich nicht mit der Jazzgeschichte in Deutschland auskennen – nach wie vor nicht bewusst ist, ist die Gefahr, die sich die Musiker aussetzten, weil sie ihrer Leidenschaft frönte und damit auch ein politisches Statement setzten. Welche Botschaft leitet ihr daraus für die heutige Zeit ab?
Der großen Gefahr waren sich die Swings ja damals selbst nicht so richtig bewusst. Aber sie haben sich bewusst dafür entschieden, nicht zur HJ zu gehen, nicht zu den Nazis gehören zu wollen. Die Musik der Schwarzen, die aus Sicht der Nazis ja eine minderwertige Rasse waren, war für sie das Höchste. Sie wussten, dass die Nazis mit ihrer Rassenideologie im Unrecht waren. Diese klare Sicht und Haltung dieser Jugendlichen bewundern wir.
Aber wir betrachten ja nicht nur die Zeit bis zum Kriegsende. In den 1950er Jahren hatte der Jazz seine Hochzeit, und war nicht nur in Frankfurt sehr populär. Viele Nazis durften aber nach den Krieg ja einfach weitermachen, da gab es zum Frust nicht nur der Jazzfreunde auf vielen Ebenen eine nahtlose Kontinuität. Jener Magistratsrat Prestel zum Beispiel, der im Frankfurter Jugend- und Fürsorgeamt maßgeblich die Verfolgung der Swingjugendlichen vorangetrieben und mit der Gestapo koordiniert hatte, trat nach dem Krieg kurzerhand der CDU bei und wurde Sozialdezernent und Leiter des Jugendamtes. Ein Altenheim in Praunheim trägt übrigens bis heute seinen Namen. In den 1960-ern war dann aber unter der nachfolgenden Generation von Jugendlichen eher Beat-Musik und weniger Jazz angesagt. Die Leute vom Harlem Club waren da längst häuslich geworden und hatten ihre Familien gegründet, als die Studentenbewegung auf die Straße ging.
Ein Wort zum Titel „Harlem am Main". Worauf bezieht er sich?
Eine der jugendlichen Frankfurter Swing-Cliquen, die um Emil und seine Freunde, nannte sich „Harlem Club“, in Anlehnung an die damals populäre Jazz-Nummer „Harlem“. Diese Melodie war auch das geheime Erkennungszeichen der Frankfurter Swingjugendlichen – traf man auf der Straße auf jemanden, der vom Kleidungsstil her auch ein Swing sein könnte, pfiff man die Harlem-Melodie. Wer die Melodie fortsetzen konnte, musste ebenfalls ein Swing sein.
Sagt mal was zum visuellen Teil der Veranstaltung. Ihr arbeitet, wenn ich das richtig verstanden habe, mit historischem Bildmaterial und eigens für das Projekt gestalteten Illustrationen/Comiczeichnungen. Welche Rolle spielen diese in Gesamtkontext?
Die Geschichte, die Karmen Mikovic vorliest, illustrieren wir mit unseren Zeichnungen. Sie stammen von dem Frankfurter Comiczeichner Manuel Tiranno. Wir wollen die Geschichte mit den bunten Illustrationen aus dem Mief eines vergilbten Fotoalbums herausholen. Aber wir verwenden auch historisches Film- und Fotomaterial – immer dann, wenn wir Musik spielen. Wir betrachten ja die Zeit von 1940 bis Ende der 1960er Jahre, also eine Zeitspanne von dreißig Jahren. Für diese Einspieler nutzen wir Material aus den Stadtarchiv und dem HR-Archiv. Die Einspieler gliedern die Aufführung und visualisieren dann auch immer den Zeitabschnitt, in dem wir uns gerade mit unserem Text befinden.
Harlem am Main, Ffm, Musterschule, 19.7., 20 Uhr, Eintritt: 12 Euro
Corinna Danzer: Die Jazzhistorie in Frankfurt ist ja gespickt mit vielen kleinen Geschichten und Anekdoten. Irgendwann stellten wir fest, dass diese Stories auch für Leute interessant sind, die sich (noch) nicht für Jazz interessieren. Und wir fanden auch, dass diese Geschichten helfen können, Jazz besser zu verstehen. Aber wenn man sich mit Jazzgeschichte beschäftigt, will man ja vielleicht auch wissen: Wie sah das eigentlich aus, wo die damals immer aufgetreten sind? Und wie hat es geklungen? Und wie war das genau? So ging es uns zumindest. Also begannen wir, Material zu sammeln und zu recherchieren. Und irgendwann wollten wir das alles dann natürlich auch irgendwie Publikum zugänglich machen. Und da wir ja Jazzmusiker sind, haben wir nach Wegen gesucht, Text, Bild und Musik auf der Bühne zu verbinden.
Ihr nennt es in eurem Papier ein Musikvermittlungsprojekt. Aber die Musik, die ihr da vermittelt, hat ja einen politischen Hintergrund ... Ihr vermittelt also weit mehr ...
Der politische Hintergrund ist bei Jazzmusik ja per se sehr stark ausgeprägt. Dadurch, dass wir uns mit unserer Geschichte auf Frankfurt beziehen, also Orte, die die Frankfurter Schüler ja kennen, werden die Zusammenhänge aber greifbarer und konkreter – hoffen wir. Die Aufführungen in Schulen sind also als Ergänzung für den Musik- aber auch den Geschichtsunterricht gedacht. So eine Art musikalische Heimatkunde-Stunde.
Ihr habt – neben Erwachsenen – Jugendliche ab der 9. Klasse als Adressaten genannt. Ist „Harlem am Main" vor allem ein Schul- und dabei ein didaktisches Projekt?
Nein. Wir haben das so flexibel konzipiert, dass „Harlem am Main" beides sein kann: als Abendvorstellung besteht eine Aufführung aus zwei Sets mit Pause, und richtet sich an erwachsenes Publikum. Die Vormittags-Aufführungen in Schulen sind auf eine Stunde gestrafft. Wir wollen dem Publikum Inhalte vermitteln aber auf unterhaltsame Weise, ohne zu zu dozieren, egal ob es eine Schulveranstaltung oder ein Jazzkonzert ist. Wir wollen das Publikum für die Musik, aber auch für die Geschichte hinter der Musik interessieren.
Ich musste bei eurer Widmung an Emil, Albert, Horst und Carlo natürlich sofort am Emils Gesprächkonzert-Projekt „Swing tanzen verboten" denken. War das eine Inspirationsquelle? Übernehmt ihr jetzt sozusagen die Rolle des verstorbenen Zeitzeugens?
Nein, Emil können wir nicht ersetzen, das wäre anmaßend. Natürlich weiß man als Frankfurter Jazzmusiker, dass da ein paar Leute schon unter den Nazis angefangen hatten, Jazz zu spielen. Als Carlo früher hin und wieder in den Jazzkeller kam, wenn wir da spielten, wussten wir zwar auch, wer das ist. Dass dieser Stammgast da an der Theke derjenige ist, der den Keller mal gegründet hatte und früher auch mal selbst Trompeter war – aber wie spannend diese Historie wirklich ist, haben wir erst viel später wirklich begriffen. Mit Emil bin ich ja auch einige Male als Gast aufgetreten, und habe mit ihm natürlich auch über seine Erlebnisse gesprochen. Als wir Emil fragten, ob er uns bei unserem Projekt helfen möchte, antworte er ohne zu zögern: wenn’s gegen den Faschismus ist, bin ich natürlich dabei. Wir haben dann bei Erdbeerkuchen in seinem Garten gesessen und ihn ausgefragt.
Ihr erzählt die Geschichte des Frankfurter Swings, gerade auch im Nationalsozialismus. Was vielen – zumal wenn sie sich nicht mit der Jazzgeschichte in Deutschland auskennen – nach wie vor nicht bewusst ist, ist die Gefahr, die sich die Musiker aussetzten, weil sie ihrer Leidenschaft frönte und damit auch ein politisches Statement setzten. Welche Botschaft leitet ihr daraus für die heutige Zeit ab?
Der großen Gefahr waren sich die Swings ja damals selbst nicht so richtig bewusst. Aber sie haben sich bewusst dafür entschieden, nicht zur HJ zu gehen, nicht zu den Nazis gehören zu wollen. Die Musik der Schwarzen, die aus Sicht der Nazis ja eine minderwertige Rasse waren, war für sie das Höchste. Sie wussten, dass die Nazis mit ihrer Rassenideologie im Unrecht waren. Diese klare Sicht und Haltung dieser Jugendlichen bewundern wir.
Aber wir betrachten ja nicht nur die Zeit bis zum Kriegsende. In den 1950er Jahren hatte der Jazz seine Hochzeit, und war nicht nur in Frankfurt sehr populär. Viele Nazis durften aber nach den Krieg ja einfach weitermachen, da gab es zum Frust nicht nur der Jazzfreunde auf vielen Ebenen eine nahtlose Kontinuität. Jener Magistratsrat Prestel zum Beispiel, der im Frankfurter Jugend- und Fürsorgeamt maßgeblich die Verfolgung der Swingjugendlichen vorangetrieben und mit der Gestapo koordiniert hatte, trat nach dem Krieg kurzerhand der CDU bei und wurde Sozialdezernent und Leiter des Jugendamtes. Ein Altenheim in Praunheim trägt übrigens bis heute seinen Namen. In den 1960-ern war dann aber unter der nachfolgenden Generation von Jugendlichen eher Beat-Musik und weniger Jazz angesagt. Die Leute vom Harlem Club waren da längst häuslich geworden und hatten ihre Familien gegründet, als die Studentenbewegung auf die Straße ging.
Ein Wort zum Titel „Harlem am Main". Worauf bezieht er sich?
Eine der jugendlichen Frankfurter Swing-Cliquen, die um Emil und seine Freunde, nannte sich „Harlem Club“, in Anlehnung an die damals populäre Jazz-Nummer „Harlem“. Diese Melodie war auch das geheime Erkennungszeichen der Frankfurter Swingjugendlichen – traf man auf der Straße auf jemanden, der vom Kleidungsstil her auch ein Swing sein könnte, pfiff man die Harlem-Melodie. Wer die Melodie fortsetzen konnte, musste ebenfalls ein Swing sein.
Sagt mal was zum visuellen Teil der Veranstaltung. Ihr arbeitet, wenn ich das richtig verstanden habe, mit historischem Bildmaterial und eigens für das Projekt gestalteten Illustrationen/Comiczeichnungen. Welche Rolle spielen diese in Gesamtkontext?
Die Geschichte, die Karmen Mikovic vorliest, illustrieren wir mit unseren Zeichnungen. Sie stammen von dem Frankfurter Comiczeichner Manuel Tiranno. Wir wollen die Geschichte mit den bunten Illustrationen aus dem Mief eines vergilbten Fotoalbums herausholen. Aber wir verwenden auch historisches Film- und Fotomaterial – immer dann, wenn wir Musik spielen. Wir betrachten ja die Zeit von 1940 bis Ende der 1960er Jahre, also eine Zeitspanne von dreißig Jahren. Für diese Einspieler nutzen wir Material aus den Stadtarchiv und dem HR-Archiv. Die Einspieler gliedern die Aufführung und visualisieren dann auch immer den Zeitabschnitt, in dem wir uns gerade mit unserem Text befinden.
Harlem am Main, Ffm, Musterschule, 19.7., 20 Uhr, Eintritt: 12 Euro
13. Juli 2022, 10.45 Uhr
Detlef Kinsler
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. Mehr von Detlef
Kinsler >>
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24. Dezember 2024
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