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Frankfurter Stotterer-Selbsthilfe
„Jetzt darf ich aber ja nicht stottern, das darf jetzt nicht auffallen“
Im Kontext von Frankfurt liest ein Buch lesen Menschen, die stottern, aus Deniz Ohdes Roman Streulicht. Das JOURNAL hat bei der Stotterer-Selbsthilfe nachgefragt.
Herr Läufer, Sie sind seit vielen Jahren in der Frankfurter Stotterer-Selbsthilfe. Warum brauchen Menschen, die stottern, eine Selbsthilfegruppe?
Ich habe der Frankfurter Stotterer-Selbsthilfe sehr viel zu verdanken, nämlich dass ich heute so flüssig sprechen kann. Zudem hat sich meine Sprechangst erheblich reduziert, vor Hängern und Blöcken habe ich kaum noch Panik, und sie hindern mich auch nicht mehr am Weiterreden. Ich denke, es geht vielen wie mir, dass sie in der Selbsthilfegruppe zum ersten Mal Leute treffen, die auch stottern.
Warum ist das wichtig?
Es entlastet von der Sprechangst, wenn man andere stottern hört. Jeder kann dort stotternd ausreden, was von den Mitmenschen im normalen Leben selten ertragen wird. Nach dem Prinzip „Alles bleibt im Raum“ können Stotternde sich zwanglos über Erfahrungen und Probleme austauschen oder im geschützten Raum neue Sprechtechniken aus Therapien ausprobieren und trainieren, bevor sie diese im öffentlichen Raum anwenden.
Menschen, die stottern, leiden unter Diskriminierung
Wie äußert sich Diskriminierung, beziehungsweise inwiefern beeinträchtigt Stottern das Leben von Betroffenen?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Die einen wurden von klein auf gehänselt, andere hatten in der Pubertät oder generell Probleme bei der Bekannten-, Freundes- oder Partnersuche, wieder andere sehen sich auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Für mich war mein Stotterern das Problem schlechthin, so dass ich meine ganze Persönlichkeit auf mein Stottern reduziert habe. So habe ich mir eingeredet, dass für jeden Misserfolg allein mein Stottern verantwortlich war, was natürlich, genau besehen, Humbug war. Insbesondere Stotternde mit Migrationshintergrund müssen oft besonders herbe Abwertungen erfahren.
Wie kann Stottern therapiert werden?
Die Therapie von der Stange, die allen gleichermaßen hilft, gibt es leider nicht. Auch nicht die 100%-Erfolgschance. Ein Rückfall in alte Gewohnheiten ist nie auszuschließen, auch wenn sie wie ich Jahrzehnte quasi-symptomfrei gesprochen haben. Welcher Therapieansatz für einen selbst der richtige ist, muss jeder ausprobieren. Würde ich noch Mal eine Therapie machen, würde ich wahrscheinlich einen Therapeuten wählen, der selbst Stotterer ist. Ich glaube, wichtig ist, in der Therapie das Stottern als Teil von sich selbst zu akzeptieren und sich darüber nicht zu grämen. Damit sollte schon viel gewonnen sein, zumal wohl vielen Mitstotternden vor allem die Sprechangst zu schaffen macht, die dafür sorgt, sich unter Druck zu setzen.
„ Stotternde mit Migrationshintergrund müssen oft besonders herbe Abwertungen erfahren“
Können Sie das konkretisieren?
Nach dem Motto: „Jetzt darf ich aber ja nicht stottern, das darf jetzt nicht auffallen.“ Dieser Druck erzeugt erst recht Stottern. Zum flüssigeren Sprechen gibt es viele Techniken, die das gewohnte Sprechen verändern. Die bekanntesten sind der Nichtvermeiden-Ansatz und Stottermodifikation nach van Riper und die Fluency Shaping Methode, die die Kasseler Stottertheapie durchführt. Normalerweise können erwachsene Stotterer aber nicht mehr gänzlich stotterfrei werden.
Im Kontext der Veranstaltung Frankfurt liest ein Buch veranstalten Sie eine Lesung. Menschen, die stottern, betreten die Vorlesebühne. Wie viel Überwindung kostet es, vor einem Publikum zu lesen, und wie geht man mit der Angst um?
Abgesehen vom normalen Lampenfieber ist die Überwindung besonders für diejenigen, die das zum ersten Mal machen, sicher sehr groß. Für jene, die bereits bei Kracauers Ginster und Henscheids Vollidioten mitgelesen haben, hält sie sich sicher mehr in Grenzen. Bei Stotternden gibt es ein Phänomen: Wenn sie allein in einem Raum sind, stottern sie nicht, sondern reden absolut flüssig. Auch mit Tieren und Menschen, die Resonanz zurückgeben, ist das so. Was auf der Bühne tatsächlich passiert, ist schwer im Voraus zu sagen.
Auftritt von Menschen, die stottern, bei Frankfurt liest ein Buch
Der Auftritt erzeugt bei manchen eine Verwandlung. Plötzlich sind sie entlastet vom eigenen Selbst und stottern nicht. Ein überraschendes Phänomen, das Schauspieler nutzen, wenn sie in eine Rolle schlüpfen. Bei Frankfurt liest ein Buch erhofft sich jeder, dass das vielleicht auch bei ihm so ist. Es bleibt aber ein Wagnis. Und kann auch schiefgehen. Mit der Angst vor Hängern und Blocks geht jeder sicher anders um. Wichtig ist, wenn diese kommen, sie zuzulassen und nicht panisch zu werden. Sicher ist auch, die Textpassagen immer und immer wieder laut zu lesen – alleine oder auch vor kleinem Publikum –, um mit dem Text sehr vertraut zu sein.
Warum lesen Sie ausgerechnet Deniz Ohdes Roman Streulicht?
Weil wir uns in vielen Textpassagen wiederfinden. Streulicht erzählt von Diskriminierung und Ausgrenzung, von Selbstzweifel und Selbstabwertung - traurige Erfahrungen, die auch Stotternde häufig machen müssen.
Info_Lesung____________________________________________________________
Im Kontext von Frankfurt liest ein Buch: Die Frankfurter Stotterer-Selbsthilfe veranstaltet eine Lesung. Menschen, die stottern, lesen aus Deniz Ohdes Roman „Streulicht“ am 26. April, um 19 Uhr in der BASIS, Lenaustraße 38 (Hinterhaus) in 60318 Frankfurt.
Gruppentreffen finden regelmäßig jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat um 19 Uhr im Frankfurter Zentrum Die BASIS statt.
Zur Person_____________________________________________________________
Henning Läufer, 56 Jahre alt, Hausmann, Volkswirt, früher Redakteur und Journalist, ist seit mehr als 30 Jahren in der Stotterer-Selbsthilfe. Er war 1990 Gründungsmitglied und Mitglied im 1. Vorstand des Landesverbandes Hessen der Stotterer Selbsthilfe von 1990.
Ich habe der Frankfurter Stotterer-Selbsthilfe sehr viel zu verdanken, nämlich dass ich heute so flüssig sprechen kann. Zudem hat sich meine Sprechangst erheblich reduziert, vor Hängern und Blöcken habe ich kaum noch Panik, und sie hindern mich auch nicht mehr am Weiterreden. Ich denke, es geht vielen wie mir, dass sie in der Selbsthilfegruppe zum ersten Mal Leute treffen, die auch stottern.
Warum ist das wichtig?
Es entlastet von der Sprechangst, wenn man andere stottern hört. Jeder kann dort stotternd ausreden, was von den Mitmenschen im normalen Leben selten ertragen wird. Nach dem Prinzip „Alles bleibt im Raum“ können Stotternde sich zwanglos über Erfahrungen und Probleme austauschen oder im geschützten Raum neue Sprechtechniken aus Therapien ausprobieren und trainieren, bevor sie diese im öffentlichen Raum anwenden.
Wie äußert sich Diskriminierung, beziehungsweise inwiefern beeinträchtigt Stottern das Leben von Betroffenen?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Die einen wurden von klein auf gehänselt, andere hatten in der Pubertät oder generell Probleme bei der Bekannten-, Freundes- oder Partnersuche, wieder andere sehen sich auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Für mich war mein Stotterern das Problem schlechthin, so dass ich meine ganze Persönlichkeit auf mein Stottern reduziert habe. So habe ich mir eingeredet, dass für jeden Misserfolg allein mein Stottern verantwortlich war, was natürlich, genau besehen, Humbug war. Insbesondere Stotternde mit Migrationshintergrund müssen oft besonders herbe Abwertungen erfahren.
Wie kann Stottern therapiert werden?
Die Therapie von der Stange, die allen gleichermaßen hilft, gibt es leider nicht. Auch nicht die 100%-Erfolgschance. Ein Rückfall in alte Gewohnheiten ist nie auszuschließen, auch wenn sie wie ich Jahrzehnte quasi-symptomfrei gesprochen haben. Welcher Therapieansatz für einen selbst der richtige ist, muss jeder ausprobieren. Würde ich noch Mal eine Therapie machen, würde ich wahrscheinlich einen Therapeuten wählen, der selbst Stotterer ist. Ich glaube, wichtig ist, in der Therapie das Stottern als Teil von sich selbst zu akzeptieren und sich darüber nicht zu grämen. Damit sollte schon viel gewonnen sein, zumal wohl vielen Mitstotternden vor allem die Sprechangst zu schaffen macht, die dafür sorgt, sich unter Druck zu setzen.
Können Sie das konkretisieren?
Nach dem Motto: „Jetzt darf ich aber ja nicht stottern, das darf jetzt nicht auffallen.“ Dieser Druck erzeugt erst recht Stottern. Zum flüssigeren Sprechen gibt es viele Techniken, die das gewohnte Sprechen verändern. Die bekanntesten sind der Nichtvermeiden-Ansatz und Stottermodifikation nach van Riper und die Fluency Shaping Methode, die die Kasseler Stottertheapie durchführt. Normalerweise können erwachsene Stotterer aber nicht mehr gänzlich stotterfrei werden.
Im Kontext der Veranstaltung Frankfurt liest ein Buch veranstalten Sie eine Lesung. Menschen, die stottern, betreten die Vorlesebühne. Wie viel Überwindung kostet es, vor einem Publikum zu lesen, und wie geht man mit der Angst um?
Abgesehen vom normalen Lampenfieber ist die Überwindung besonders für diejenigen, die das zum ersten Mal machen, sicher sehr groß. Für jene, die bereits bei Kracauers Ginster und Henscheids Vollidioten mitgelesen haben, hält sie sich sicher mehr in Grenzen. Bei Stotternden gibt es ein Phänomen: Wenn sie allein in einem Raum sind, stottern sie nicht, sondern reden absolut flüssig. Auch mit Tieren und Menschen, die Resonanz zurückgeben, ist das so. Was auf der Bühne tatsächlich passiert, ist schwer im Voraus zu sagen.
Der Auftritt erzeugt bei manchen eine Verwandlung. Plötzlich sind sie entlastet vom eigenen Selbst und stottern nicht. Ein überraschendes Phänomen, das Schauspieler nutzen, wenn sie in eine Rolle schlüpfen. Bei Frankfurt liest ein Buch erhofft sich jeder, dass das vielleicht auch bei ihm so ist. Es bleibt aber ein Wagnis. Und kann auch schiefgehen. Mit der Angst vor Hängern und Blocks geht jeder sicher anders um. Wichtig ist, wenn diese kommen, sie zuzulassen und nicht panisch zu werden. Sicher ist auch, die Textpassagen immer und immer wieder laut zu lesen – alleine oder auch vor kleinem Publikum –, um mit dem Text sehr vertraut zu sein.
Warum lesen Sie ausgerechnet Deniz Ohdes Roman Streulicht?
Weil wir uns in vielen Textpassagen wiederfinden. Streulicht erzählt von Diskriminierung und Ausgrenzung, von Selbstzweifel und Selbstabwertung - traurige Erfahrungen, die auch Stotternde häufig machen müssen.
Info_Lesung____________________________________________________________
Im Kontext von Frankfurt liest ein Buch: Die Frankfurter Stotterer-Selbsthilfe veranstaltet eine Lesung. Menschen, die stottern, lesen aus Deniz Ohdes Roman „Streulicht“ am 26. April, um 19 Uhr in der BASIS, Lenaustraße 38 (Hinterhaus) in 60318 Frankfurt.
Gruppentreffen finden regelmäßig jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat um 19 Uhr im Frankfurter Zentrum Die BASIS statt.
Zur Person_____________________________________________________________
Henning Läufer, 56 Jahre alt, Hausmann, Volkswirt, früher Redakteur und Journalist, ist seit mehr als 30 Jahren in der Stotterer-Selbsthilfe. Er war 1990 Gründungsmitglied und Mitglied im 1. Vorstand des Landesverbandes Hessen der Stotterer Selbsthilfe von 1990.
21. April 2023, 12.15 Uhr
Katja Thorwarth
Katja Thorwarth
Die gebürtige Frankfurterin studierte an der Goethe-Uni Soziologie, Politik und Sozialpsychologie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik, politisches Feuilleton und Meinung. Seit März 2023 Leitung online beim JOURNAL FRANKFURT. Mehr von Katja
Thorwarth >>
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